Wer Zeitreisen gerne im Retrostil unternimmt, ist bei den italienischen Architekten von Orizzontale gut aufgehoben. Neben der Rakete in der Sackstraße bespielen sie auch das Festivalzentrum im Graz-Museum.

Foto: Steirischer Herbst

Graz – Am 21. Oktober wird der Steirische Herbst für heuer gut gewesen sein. Oder auch nicht. Das weiß man nicht, wenn man keinen Fluxkompensator hat. Keinen DeLorean, den der schrullige Wissenschafter Doc Brown für Reisen in die Zukunft und Vergangenheit aufgepimpt hat. Am 21. Oktober wird das Festival seit drei Tagen vorbei sein. Aber Marty McFly, der Held aus Robert Zemeckis' Filmtrilogie Back to the Future, wird am 21. Oktober 2015 in der Gegenwart landen.

Epochen und Visionen

Gut, wahrscheinlich nicht in Graz. Das weiß jeder, der die Filme in den 1980er- und 1990er-Jahren gesehen hat. Aber in Graz wird sich das spartenübergreifende Festival zuvor nach seinem Vorbild auf Zeitreisen begeben. Quer durch Epochen, Halbwertszeiten und Visionen über Katastrophen und Krisen und deren Umschiffung. Zurück und nach vorne durch die Betrachtung von Bewährtem und nicht so Bewährtem.

War das Festival mit seinen Leitmotiven in den vergangenen Jahren – durch Glück oder den richtigen Riecher – oft genau am Puls der Zeit, drängt sich der heuer gewählte rote Faden weniger auf. Man arbeitet über die Zeit, statt nur mit ihr.

In den kommenden Wochen wird das Festival also gleichzeitig zurück und vorwärts schauen. Ob das funktioniert haben wird, um noch einmal das Futur zwei zu bemühen, werden wir dann sehen, wenn Marty hier gewesen sein wird. Back to the Future – Relikte, Spuren und andere Hinterlassenschaften hat man sich jedenfalls zum Leitmotiv erkoren. Die Auseinandersetzung mit den Hoffnungen der Vergangenheit und Chancen der Zukunft der Menschheit wird in vielen Produktionen im Zentrum stehen.

Wenige Dinge können die Zukunft einer Vergangenheit, also futuristische Visionen aus verflossenen Zeiten, so schön einfangen wie Darstellungen von Raketen oder Ufos aus den 1960ern und 1970ern. Genau wie Roboter aus dieser Zeit wurden sie vom Spielzeug einer Generation zu fixen Bestandteilen der Popkultur. Mit diesem Retrofuturismus spielt man heuer auch rund um das Festivalzentrum.

Dabei haben die Veranstalter dieses Jahr keinen Ort in der Stadt aufgespürt oder wiederentdeckt, sondern sich im Graz-Museum einquartiert – also gleich gegenüber den Festivalbüros im Palais Attems in der Sackstraße. Dort errichteten die Architekten des italienischen Kollektives Orizzontale eine Raumstation – samt sechs Meter hoher Rakete auf der anderen Straßenseite (siehe nebenstehenden Artikel).

Kommandozentrale und Bar

Diese Raumstation beherbergt eine Kommandozentrale und die diesjährige Herbstbar – also den nächtlichen Treffpunkt für alle Gäste des Festivals. In den übrigen Räumen werden unter anderem alte Nasa-Filme gezeigt und das handfeste Erbe des Wettlaufs zum Mond erörtert.

Spin-off heißt das Projekt von Orizzontale. Spin-offs der Raumfahrttechnologie heißen auch Dinge, die unseren Alltag veränderten. Led-Lampen, wasserabweisende Badeanzüge, kabellose Telefone, Kopfhörer oder Staubsauger, Solarzellen, Handykameras und Ohrenthermometer.

Mit der theatralischen Inszenierung ihrer Raumstation wollen Orizzontale auf dieses Erbe hinweisen.

Was werden wir einmal den Archäologen in Hülle und Fülle hinterlassen? Abgesehen vom Plastik in den Meeren und digitalem Kulturerbe in der Cloud? Auch heuer wird im Festival gedacht, geredet und zugehört. Bei der von Christiane Kühl kuratierten Konferenz Future Perfect – Dystopie und Alternativen: Wofür wir werden gesorgt haben müssen wird man in Graz und an der Montanuni Leoben darüber reden, wie für eine bessere, eine nicht nur grammatikalisch "perfekte" Zukunft gesorgt werden könnte.

Höllenlärm aus dem Jetzt

Unter den zahlreichen Teilnehmern aus Kunst und Wissenschaft wird etwa der Medientheoretiker Manfred Schneider unser Konzept von Zeit hinterfragen und dem geneigten Publikum etwas vom Ablaufdatum der Zukunft erzählen.

Einer der wahrscheinlich interessantesten Beiträge der Konferenz dürfte von Charles Heller und Lorenzo Pezzani von der Londoner Goldsmiths University kommen. Ihr Projekt der forensischen Ozeanografie kritisiert das militarisierte Grenzsystem und die unmenschliche Migrationspolitik im Mittelmeer, im "deadly liquid", wie sie es nennen. Keine Zukunftsmusik, sondern für viele das Rauschen des Todes am Ende ihrer Zukunft. (Colette M. Schmidt, Spezial, 18.9.2015)