Kiki Kogelniks "Verliebte Bomben" entstanden als Kommentar zur Kubakrise 1962.

Foto: Kevin Ryan/Kiki Kogelnik Foundation Vienna/New York

Worum es in der großen Herbstausstellung der Londoner Tate Modern geht, erschließt sich selbst flüchtigen Besuchern auf einen Blick. Entweder einzelne Wände oder ganze Säle sind in Signalfarben gestrichen, beginnend bei Rot, dann Violett, Dunkelgrün, Gelb, Hellblau und Pink bis Orange. Dass das Museumspersonal violette Kittel trägt, gibt den überforderten Augen den Rest. Zur Beruhigung der Sehnerven eröffnet zwischendurch lediglich ein einsames Fenster den Blick auf Themse und St. Paul's.

Die Farbkeule in den Ausstellungsräumen lässt den Eindruck zu, die Kuratorinnen von The World goes Pop hätten der Ausdruckskraft der ausgewählten rund 160 Werke aus den 1960er- und 1970er-Jahren nicht recht getraut. Immerhin verfolgen Jessica Morgan und Flavia Frigeri ein hohes Ziel. Pop-Art sei zu sehr definiert als anglo-amerikanisches Phänomen, sagen sie.

Weltweiter Pop

Gewiss waren New York und London die Zentren der Bewegung: Andy Warhol verdanken wir einen neuen Blick auf die gemeine Suppendose, Roy Lichtenstein holte den Comicstrip ins Museum, Peter Blakes Cover für die Beatles-LP Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band erwärmt bis heute nicht nur einsame Herzen. Aber Pop-Art inspirierte Künstler und vor allem Künstlerinnen auch in ganz anderen Regionen. Stärker als die Kritik an der westlichen Konsumgesellschaft lag ihnen häufig die politische Auseinandersetzung mit repressiven Regimen am Herzen, aber auch die sexuelle Revolution und die Darstellung von Frauen.

Neben den bekannten Anspielungen aus Werbung und Massenmedien liegen den gezeigten Kunstwerken häufig Images aus politischer Propaganda oder Volkskunst zugrunde. Das farbenprächtige Puppenfestival (1966) des in New York lebenden Japaners Ushio Shinohara bezieht sich auf traditionelle Drucke seiner Heimat, während es die Amerikanisierung des Landes abbildet. Dem Rumänen Cornel Brudascu ist ein eigener Raum gewidmet, sämtliche Werke stammen aus dem Jahr 1970. Inspiriert von westlichen Magazinen, die in der Ceausescu-Diktatur erhältlich waren, unterwandert der Künstler aus Cluj auf subtile Weise den damals herrschenden Proletenkult.

Andere Säle sind "Pop-Körpern", "politischem Pop" und "heimischem Pop" gewidmet. Die verliebten Bomben der österreichischen Künstlerin Kiki Kogelnik (1935-1997) spiegeln im Jahr der Kubakrise 1962 die damals herrschende Atomangst wider. Der Pariser Künstler Bernard Rancillac konstrastiert drastische Folterbilder aus dem Vietnamkrieg mit zeitgenössischen Modetrends. Den Film-Montagen I-III des Deutschen Peter Roehr (1944-1968) gelingt es, den eigentlichen Zweck der Bilder aus der TV-Werbung zu entfremden.

Unbefriedigender Mischmasch

Viele der Gemälde und Skulpturen sind für sich gesehen anschauens- und bedenkenswert. In den grell gestrichenen, rasch stickigen und tageslichtlosen Räumen der Tate gerät aber alles zu einem unbefriedigenden Mischmasch. Der Ausstellung hätte eine viel deutlichere Fokussierung, vielleicht auf eine Region oder ein halbes Dutzend Künstlerinnen, gut getan. Was die Menschen, deren Kunst hier gezeigt wird, außer ihrer Zeitgenossenschaft miteinander verbindet, bleibt offen. Gehört all dies wirklich zur Pop-Art? Viele definieren sich selbst keineswegs als Teil dieser Bewegung.

Oder geht es, wie das konservative Magazin Spectator ganz subversiv vermutet, vor allem darum, den internationalen Kunstmarkt mit neuen Namen zu beflügeln? Die Ausstellung wird gesponsert von EY, einer der vier großen Gesellschaften von Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern. Wie die Tate wolle seine Firma "unterschiedliche Perspektiven und Kulturen fördern" und damit "einen wichtigen Beitrag zur Marke Großbritannien" leisten, schwärmt EY-Chairman Steve Varley. Leider leistet The World goes Pop keinen positiven Beitrag zur Marke Tate. (Sebastian Borger aus London, 19.9.2015)