STANDARD: Die gemeinsame Strompreiszone Österreich/Deutschland, die Österreich billigere Preise bringt, wackelt. Was ist da passiert?

Sefcovic: Das Problem ist, dass gleichzeitig mit dem Ausbau regenerativer Energien wie Windkraft im Norden Deutschlands keine robuste Infrastruktur zum Transport in den Süden aufgebaut wurde. Das bedeutet, dass der Strom häufig über Länder fließt, deren Durchleitungskapazitäten an Grenzen stoßen: Polen und Tschechien. Für diese Länder bedeutet das, dass es zu leitungsbedingten Stresssituationen kommen kann.

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Maros Sefcovic: "Die aktuellen Gas-Transportkapazitäten nach Europa reichen aus."
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STANDARD: Aber solche Kooperationen werden im Rahmen der EU-Energieunion doch angestrebt?

Sefcovic: Ja, die Kommission will, dass der grenzüberschreitende Stromhandel forciert wird, denn letztlich profitieren alle davon. Diese Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden Acer, ein Zusammenschluss der nationalen Regulatoren, sieht sich das Problem derzeit an und wird demnächst Lösungsvorschläge machen. Denn neben einem Aufkündigen der gemeinsamen Preiszone, was ich für suboptimal halte, gibt es auch andere Möglichkeiten. Am besten wäre, das deutsche Netz zu stärken. Die Frage ist auch beispielhaft dafür, wie andere, ähnliche Kooperationen – im Baltikum oder zwischen Spanien und Portugal – weiterentwickelt werden können. Die Probleme mit der deutschen Stromverteilung zeigen die Bedeutung des Netzausbaus. Strom kennt halt keine Grenzen.

STANDARD: Wie sehen die Gespräche über russische Gaslieferungen an die Ukraine aus? Schließlich steht der Winter vor der Tür.

Sefcovic: Ich erwarte, dass wir bis Ende September eine Lösung präsentieren können. Die Gespräche sind in einer ziemlich fortgeschrittenen Phase. Das Ganze ist ein umfangreiches Paket aus Krediten und Finanzierungshilfen, etwa von Europäischer Bank für Wiederaufbau und Entwicklung sowie der Weltbank. Die EU wird nach derzeitigem Stand der Dinge 1,8 Milliarden Dollar beisteuern.

STANDARD: Ziel Russlands ist es, eine Transportroute durch die Ukraine zu schließen. Wie stehen Sie dazu?

Sefcovic: Das würde die Anzahl der Routen von drei auf zwei verringern. Das hätte negative Folgen für die Ukraine und für Staaten in Zentral- und Osteuropa sowie am Balkan.

STANDARD: Andererseits aber haben Sie sich kürzlich gegen die Ausbaupläne der russischen Ostsee-Gaspipeline Nord Stream ausgesprochen.

Sefcovic: Ja, denn die aktuellen Transportkapazitäten für Gas nach Europa werden nicht einmal zu 60 Prozent ausgenützt. Sie sind also ausreichend.

STANDARD: Wie ist da Ihre Forderung zu sehen, dass es bei den Energieverträgen zu mehr Transparenz kommt?

Sefcovic: Da geht es vor allem um bilaterale staatliche Verträge. Wir stellen – sehr oft nachträglich, wenn die Verträge unterzeichnet und in den nationalen Parlamenten abgesegnet sind – fest, dass sie nicht kompatibel mit EU-Recht sind. Also, zum Beispiel, wenn Russland darauf besteht, eine Pipeline zu bauen und hinterher auch zu betreiben, wie es in Bulgarien der Fall war. Da wollen wir vorher schon Transparenz haben.

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Deutschland benötigt mehr Trassen, um den Strom aus erneuerbaren Energiequellen, vor allem Wind und Sonne, an Abnehmer im Süden Deutschlands und nach Österreich leiten zu können.
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STANDARD: Ein anderer Themenkomplex: Die EU-Kommission hat kürzlich angekündigt, dass überschüssige Treibhausgaszertifikate aus dem Markt genommen werden, und zwar für 900 Millionen Tonnen. Das kann bei den Überschüssen, die am EU-Emissionshandelsmarkt bestehen, doch nicht genug sein?

Sefcovic: Das war ein sehr wichtiger Schritt, der den Zertifikatspreis für eine Tonne Kohlendioxid immerhin auf acht Euro getrieben hat – von fünf Euro. Man muss sehen, dass diese 900 Millionen Tonnen nicht in eine Reserve wandern, sondern ganz aus dem Markt genommen wurden. Wir haben das sozusagen in den Freezer, in den Eisschrank gesteckt. Je nachdem, wie sich die wirtschaftliche Lage bis 2019 entwickelt, kann da noch etwas dazu kommen. Das Signal an die Industrie ist wichtig: Setzt auf erneuerbare Energieträger,

STANDARD: Gleichzeitig aber gibt es in der EU weiterhin viele Kohlekraftwerke, allen voran in Polen.

Sefcovic: Ja, die Treibhausgasintensität bei vielen alten Kohlekraftwerken, insbesondere im Osten der EU, ist hoch. Deshalb werden mit Teilen der Auktionserlöse für die Zertifikate Energieprojekte und Forschung finanziert. Zehn Prozent der Auktionserlöse gehen in die Länder der EU mit niedrigerem Einkommen, damit dort die alten Kohlekraftwerke umgerüstet werden können. Wir unterstützen dabei auch "Clean Technologies" bis hin zu CCS-Pilotprojekten. In Großbritannien und den Niederlanden gibt es jeweils zwei solcher Vorhaben (bei denen Treibhausgase im Erdreich verbannt werden, Anm.). Die EU ist derzeit vorn, was saubere Technologien betrifft – das wollen wir auch erhalten. (Johanna Ruzicka, 23.9.2015)