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"Ich will Menschen meiner Statur und meines Geschlechts dazu inspirieren, sich in ihrer Haut wohlzufühlen", sagt Josh Ostrovsky alias The Fat Jewish.

Foto: Matthew Salacuse/Corbis Outline

Es klang fast ein wenig verzweifelt. "Wo sind bloß die männlichen Plus-Size-Models?", titelte der britische "Guardian" vor ein paar Wochen und blickte neidisch auf Deutschland, wo man anscheinend kein Problem mit normalen Körpern habe. In England gibt es immerhin sieben Agenturen, die weibliche Übergrößenmodels unter Vertrag haben, nach einem männlichen Äquivalent aber sucht man vergeblich. "Es wird Zeit, dass auch von Männern realistische Bilder auf den Markt kommen", forderte die britische Modejournalistin in ihrem Artikel vehement.

Ist Deutschland tatsächlich Trendsetter, was den Mut zu Übergrößenmodels betrifft? Trägt man in der Heimat von Sauerbraten und Klöpsen selbstbewusster Bauch? Ist der "dad bod", also die gepflegte Bierwampe, die diesen Sommer durch die Medien geisterte (prominentester Vertreter ist Leonardo DiCaprio), jetzt auch modisch gefragt?

Deutschland hat die Nase vorn

"Deutschland war in Sachen Übergrößen bei den Frauen Vorreiter und hat jetzt auch bei den Männern die Nase vorn", bestätigt Dominique Van Eijs von der Agentur Brigitte Models in München. "In den USA gibt es schon länger eine große Nachfrage nach Plus-Size-Male-Models, in Europa rufen viele ausländische Firmen in Deutschland an, wenn sie ein Model suchen." Seltsamerweise kennen trotzdem selbst Modebegeisterte kaum Namen von männlichen Models, die nicht in die schmale Silhouette von Konfektionsgröße 48 passen. Eine seltsame Diskrepanz, denn bei Frauen gibt es mittlerweile sogar "curvy" Superstars wie Tess Holliday, die als erstes Größe-54-Model, das bei einer bekannten Modelagentur einen Vertrag unterschrieb, Geschichte machte, oder Ashley Graham, die jüngst sehr erfolgreich für Bikinis in einem sexy Werbesport mitwirkte. Man fragt sich zu Recht: Wo sind die "schweren" Jungs?

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Ashley Graham, erfolgreiches weibliches Plus-Size-Model.
Foto: ap/agostini

Während bei den meisten Agenturen pro Tag zwischen fünf und zehn Bewerbungen von Frauen, die modeln möchten, eintrudeln, werden Männer eher selten von sich aus aktiv. "Den meisten Männern ist gar nicht bewusst, dass es überhaupt einen Markt für sie gibt", sagt Mona Schulze von Curve Model Management in Hamburg.

"Dabei sind Männer wie Steven oder August, die für uns arbeiten, so gefragt, dass Shootings mittlerweile ein Fulltime-Job für sie geworden sind." Brigitte Models hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Beide Agenturen setzen schon seit Jahren auf weibliche und männliche Standardgrößen. Und die Nachfrage nach Normalo-Typen steigt. "Unsere Kunden haben erkannt, dass es gut ankommt, wenn sich die Käufer identifizieren können", erklärt Schulze.

Für Steven ist Modeln ein Fulltime-Job – und das, obwohl er bei weitem nicht in Modelgröße 48 passt.
Foto: Curve Models / Alexandra Gor

Ab Größe 52

Wobei Plus-Size bei Männern ohnehin ein schwieriger Begriff ist. Es beginnt ab Konfektionsgröße 52, das heißt auch muskulöse Männer fallen eigentlich in diese Kategorie. "Am besten gebucht sind bei uns Männer mit Größe 56 und 58", sagt Schulze.

Kataloge und Diskontermarken wie S. Oliver, Lidl, Kik und C&A setzen schon länger auf lebensechte Maße in der Werbung. Prinzipiell sind auch heimische Agenturen Plus-Size gegenüber aufgeschlossen, bestätigt etwa Visage Models, das zahlreiche weibliche Curvy Models auf seiner Website hat: "Falls Männer angefragt werden, casten wir welche, aber der österreichische Markt ist noch sehr klein für diese Nische."

Das Casting kann durchaus seine Tücken haben. Es ist anscheinend nur ein Klischee, dass Männer weniger eitel sind, wenn es um ihren Körper geht. "Das Gegenteil ist der Fall", sagt Dominique Van Eijs. "Wenn wir Übergrößenmodels suchen und Männer auf der Straße ansprechen, sind manche schnell eingeschnappt." Jüngst meinte einer erbost: "Jetzt haben Sie mir den Tag versaut!" Schulze kann das nur bestätigen: "Die meisten Herren sind zuerst überrascht. Wir sagen, dass wir gut gebaute Männer zum Modeln suchen. Das Wort 'Übergröße' versuchen wir zu vermeiden, darauf reagieren Männer fast noch sensibler als Frauen."

August trägt ähnlich wie Steven (Bild oben) Konfektionsgröße 56 bis 58. August ist Student und modelt nur nebenbei.
Foto: Curve Models / Alexandra Gor

The Fat Jewish

Aber wie sieht es in der High Fashion aus? Ist Bauch dort auch Trend? Zumindest wird gerade heftig darüber diskutiert. Schuld daran ist ein amerikanischer Internetkomödiant, der sich "The Fat Jewish" nennt. Josh Ostrovsky, wie der 39-Jährige wirklich heißt, landete jüngst einen veritablen Mode-Coup, die renommierte New Yorker Agentur One Management – die auch Karolina Kurkova im Vertrag hat – nahm ihn als erstes männliches Plus-Size-Model in ihre Kartei auf.

Allerdings: Mit sechs Millionen Followern auf Instagram ist Ostrovsky ein Onlinestar. Er kann also aussehen, wie er möchte, in Sachen Werbung und Medienaufmerksamkeit ist der Mann auf jeden Fall ein Gewinn. Josh hat bereits eine Weinlinie kreiert, die er "White Girl Rosé" nannte, in der Hip-Hop-Band Team Facelift gespielt, die als Crossover zwischen Barbra Streisand und Wu-Tang Clan beschrieben wird, und er hat gerade ein Buch am Start mit dem Titel "Money Pizza Respect".

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Josh Ostrovsky nennt sich "The Fat Jewish" und hat sechs Millionen Follower auf Instagram. Er wurde vor kurzem von einer Modelagentur unter Vertrag genommen.
Foto: Reuters / Lucas Jackson

Natürlich bestätigt The Fat Jewish, der ständig über sein Gewicht Scherze macht, das Klischee des "lustigen Dicken", gleichzeitig aber sagt er: "Ich will Menschen meiner Statur und meines Geschlechts dazu inspirieren, sich in ihrer Haut wohlzufühlen. Es ist nämlich okay, einen mittelmäßigen Körper zu haben."

Auf der New York Fashion-Week präsentierte er kürzlich seine Modelinie "Dad Fashion". Im Vorfeld ließ er Kollegen wie Marc Jacobs schon einmal wissen, er wolle bei Modenschauen Backstage in Zukunft Nacho-Maschinen sehen und bloß keine dieser großen Schüsseln voller Salat. Schließlich müsse er sein Gewicht halten, um im Geschäft zu bleiben.

Männer mit Bauch und in coolen Klamotten

Wahrscheinlich trifft The Fat Jewish trotz seiner grellen Selbstinszenierung durchaus einen Kern, der viele anspricht. Wurde heuer nicht der lumbersexuelle Mann als Trend ausgerufen? Kernige Typen in Holzfällerhemden und mit Vollbart, also eine Art von dickem Hipster, der nicht nur Bio einkaufen, sondern im Notfall auch den verstopften Abfluss reinigen kann.

Wie toll Männer mit Bauch in coolen Klamotten aussehen können, hat der belgische Modemacher Walter Van Beirendonck, selbst ein Schwergewicht, bereits 2010 bewiesen. Für seine Sommermodenschau füllte er den Laufsteg mit schwulen Bären. Selten war ein Catwalk haariger: Die Models, die meisten von ihnen keine Teenager mehr, trugen pastellfarbige Overalls mit dem Aufdruck "Wonder Bears". Und am Ende standen die Wunderbären selbstbewusst nur in Unterhosen bekleidet da und bewiesen, dass Mode eben mehr als schöne Kleider sein kann. Von dieser Attitude hätte man manchmal gerne mehr in der leider oft doch recht spießigen Fashionwelt. (Karin Cerny, Rondo, 30.9.2015)

The FatJewish