Mengenlehre nach Heinz Gappmayr (1925-2010): "viel, viele" (1996)

Foto: Eduard Tauss, Wien

Die meisten Textbilder, die man in der Ausstellung von Heinz Gappmayr sieht, sind so zart, dass man sie in einer Zeitung schwer reproduzieren kann. Sie sind mit Schreibmaschine getippt, aber auch mit Bleistift oder Tusche gezeichnet, und fordern die Wahrnehmung der Betrachter gleich in mehrfacher Hinsicht heraus. sichtbar heißt etwa ein Blatt aus dem Jahr 1962, auf dem nach s, i, c und h die restlichen Buchstaben nur noch bruchstückhaft zu sehen sind.

Als würde ein Musikstück langsam leiser gestellt, blendet der Künstler das Wort allmählich aus, sodass dieses im unendlichen Weißraum zu verschwinden scheint, der doch nur ein Blatt Papier ist. Heinz Gappmayr (1925-2010) selbst hat das Wort Poesie für seine Arbeit angeblich nicht gerne verwendet, in der Beschreibung seiner Textbilder lässt man es allerdings nur sehr ungerne aus.

Ab den späten 1950er-Jahren hat der in Innsbruck geborene Künstler ein OEuvre entwickelt, in dem er Literatur mit Linguistik, Philosophie und bildender Kunst verknüpft. Gappmayr eliminiert die Grammatik und versucht die Bedeutung von Wörtern zu differenzieren, einerseits, indem er mit Worten zeichnet, andererseits aber auch, indem er mit einfachen Strichen den Inhalten schwer begreifbarer Worte wie zeit (1964) ein bisschen näher rückt. In dieselbe Kategorie fallen auch Papierarbeiten, auf denen er das nicht immer so einfache Verhältnis zwischen ich+du (1962), das ungehörige entweder oder (1988) oder auch das nur scheinbar sehr simple sind (1963/64) visuell umzusetzen versucht.

Neben seinem anhaltenden Bestreben, Wortbedeutungen auszudifferenzieren, besteht ein weiterer wichtiger Aspekt von Gappmayrs Arbeit darin, dass er gesellschaftliche Ordnungssysteme und Konventionen nicht einfach als gegeben hinnahm: 1234... steht auf einem Bild mit dem Titel Zahlen, auf dem er dieser gebräuchlichen Reihung mit 3879... eine zufällige, chaotische oder vielleicht eine mit individueller Bedeutung entgegensetzt.

Melancholie durch große Lettern

Als Wandler zwischen den Disziplinen war er außerdem immer daran interessiert, Texte, Zeichen und Worte in ein Verhältnis mit dem Raum und dem menschlichen Körper zu setzen. In der aktuellen Präsentation wurde deswegen ein Wandtext aus dem Jahr 2008 rekonstruiert: "gezeiten" steht nun in großen Lettern auf einer der Wände der Galerie. Beim Betrachten stellt man sich irgendwann die Frage, ob das, was einen plötzlich sehr melancholisch stimmt, eher die Vorstellung von Ebbe und Flut oder nicht doch das unaufhaltsame Verfließen der Zeit ist. (Christa Benzer, Album, 26.9.2015)