"Wer hat Angst vor dem Museum?", fragen die lateinamerikanischen Künstlerinnen und Künstler, die das heutige Weltmuseum Wien mit seiner Kolonialgeschichte konfrontieren.

Foto: Imayna Caceres

Wien – Am Eingang des Weltmuseums plantscht eine Meerjungfrau in ihrem Schwimmbecken. Sie gestikuliert, bewegt die Lippen, bleibt aber stumm, ladet rundum Stehende ein, ihr beim Baden zur Hand zu gehen. Männer steigen zu ihr ins Wasser, tragen sie unsanft fort, das Publikum folgt. In der Säulenhalle des Museums streift die Nixe ihre Flosse ab, wälzt sich nicht – wie erwartet – im daneben bereitstehenden Schlammbad, sondern führt die ringsum Stehenden in einen dunkelroten Ausstellungsraum.

Dort betritt sie die Bühne, hinter ihr eine Projektion von Botticellis "Geburt der Venus", nur ohne Venus, und sagt im Seifenblasenregen: "I want to introduce my voice." Die Stimme ist tief, sehr tief. Was folgt, sind gut 20 Minuten Travestie-Show körperanalytischer Prägung mit spanischen Liedtexten. An einer Wand steht die antifaschistische Parole "Racistas, No pasarán!" – Rassisten werden nicht durchkommen!

Koloniales Fundament

Es ist das Spiel mit Erwartungen, voyeuristischen Bildern und Vorurteilen, das im Rahmen der Wienwoche im derzeit geschlossenen Weltmuseum in zwei ineinander übergehenden Ausstellungsprojekten behandelt wird. Im von Verena Melgarejo Weinandt, Imayna Caceres, Pedra Costa, und Marissa Lôbo kuratierten Projekt "Wer hat Angst vor dem Museum?" legen lateinamerikanische Künstlerinnen und Künstler das koloniale Fundament des Weltmuseums frei und hinterfragen die problematische Sammlungsgeschichte. Zu sehen sind Performances, Fotografien, Videos, Drucke und Installationen.

"Es ist sehr schwierig mit dieser Ambivalenz ethnografischer Museen umzugehen", meint Kuratorin Melgarejo Weinandt. Die Museen würden Personen aus den ehemals kolonialisierten Teilen der Erde für ihre Selbstkritik verwenden, um sich selbst wieder zu autorisieren, sagt sie. Den einen richtigen Weg im Umgang damit gebe es aber nicht. Die Kuratorin glaubt an verschiedene Strategien. In jedem Fall sei es aber wichtig, kritisch zu bleiben und Orte mit Kolonialvergangenheit nicht zu romantisieren.

Einen in der Auseinandersetzung mit dem Weltmuseum besonders direkten Zugang wählte die Künstlerin Sandra Monterroso aus Guatemala. In der Ausstellung zeigt sie eine Video-Performance, zu der sie die Federkrone des Azteken-Herrschers Moctezuma – das kostbarste Stück des Hauses – inspiriert hatte. Im Video steht Monterroso nackt in einer Windkabine, in der ihr schwarze Federn um den Körper geblasen werden. "Warum müssen all diese heiligen und wertvollen Objekte in Europa bleiben?", fragt die Künstlerin.

Boden für Rassenideologie

Die Installation mit dem provokanten Titel "Juden schauen" von Barbara Staudinger und Herbert Justnik thematisiert stereotypisierende Blicke auf Jüdinnen und Juden und deren Spuren in den fotografischen Sammlungen des Weltmuseums und des Österreichischen Museums für Volkskunde. Zu sehen sind an die Wand projizierte Fotografien aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert, die Juden aus Indien, Israel, Usbekistan, dem Jemen, Afghanistan, Polen, der Ukraine oder Ungarn zeigen. Fotografiert und kategorisiert wurde von den damaligen Völkerkundlern das, was für "authentisch" und "typisch" gehalten wurde. Die scheinbar objektive Wissenschaft bereitete damit den Boden für die spätere Rassenideologie der Nazis.

Gegenübergestellt haben Staudinger und Justnik daher nicht, wie man meinen könnte, aktualisierte Bilder von jüdischem Leben heute – wäre es doch falsch, auch nur in die Nähe des überkommenden Kategorisierungsdenkens des 19. Jahrhunderts zu kommen. Stattdessen entschied man sich für Fotografien von Künstlern, welche die Perspektive umkehren und "zurückschauen", wie es die Kuratoren nennen. Die Ausstellung ist im Rahmen der Wienwoche noch bis Sonntagabend zu sehen. (Stefan Weiss, 26.9.2015)