Treffen mit Sicherheitsabstand. Barack Obama und Wladimir Putin an einem Tisch am Rande der Un-Generalversammlung in New York.

STANDARD: Seit Beginn des Bürgerkriegs vor über vier Jahren befinden sich Amerikaner und Europäer im Umgang mit Syriens Präsidenten Baschar al-Assad in einem Graubereich. Jetzt scheint man sich damit abzufinden, dass Assad in eine Lösung eingebunden werden muss. Warum dieser Gesinnungswechsel gerade jetzt?

Heiko Wimmen: Letztlich verabschiedet man sich jetzt vor allem von der Rhetorik der vergangenen zwei Jahre, die in der konkreten Diplomatie nie wirklich verfolgt wurde. Es wurde zwar den Medien gegenüber gesagt, Assad habe keine Zukunft. Bei den Verhandlungen zum Beispiel in Genf 2012 wurde aber nie dezidiert formuliert, dass Assad gehen muss, weil Russland das nicht zuließ. Auch die Unterstützung für die sogenannte syrische Interimsregierung, die von der Opposition 2013 gebildet wurde, war allenfalls halbherzig. Politisch sind wir im Prinzip jetzt wieder da wo wir 2012 waren, stehen aber zusätzlich unter dem Druck einer humanitären Katastrophe von gewaltigen Ausmaßen. Das einzige was neu ist: Von den USA kommen deutliche Signale, dass man auch die Iraner mit im Boot haben will. Die grundsätzlichen Dilemmata bestehen aber fort.

STANDARD: Die da nochmal wären?

Wimmen: Zunächst einmal gibt es einen klaren Zielkonflikt. Auf der einen Seite will man radikale islamistische Gruppen wie den Islamischen Staat zurückdrängen. Solange die externen Akteure sich nicht darüber verständigen können, eine effektive Interventionsstreitmacht zu entsenden braucht man dafür den syrischen Staat, die syrische Armee. Die werden aber nun einmal von Assad und seinen Getreuen kontrolliert. Und solange die an der Macht bleiben gibt es keine Aussicht das zweite Ziel zu erreichen: nämlich, eine repräsentative staatliche Ordnung in Syrien zu errichten, in der alle Teile der Gesellschaft eine Chance haben, sich zu beteiligen. Ganz zu schweigen davon, dass die Urheber der in Syrien begangenen Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen zur Verantwortung gezogen werden.

Zum anderen existieren in Syrien zahlreiche Akteure, die weite Teile des Landes kontrollieren, aber nicht am Verhandlungstisch sitzen sollen und wollen. Der Islamische Staat (IS, Anm.) und die Al-Nusra-Front (eine al-Kaida zugehörige Gruppe, Anm.) und eine ganze Menge anderer Organisationen, die sich in einer Grauzone bewegen. Die sogenannten moderaten Rebellen, die als Verhandlungspartner in Frage kommen könnten, machen nur einen vergleichsweise kleinen Teil aus. In Syrien hat der Westen leider keine wirklich effektiven Partner, mit dem er zusammenarbeiten kann.

STANDARD: Russland will Assad unbedingt halten. Warum?

Wimmen: Der Syrien-Konflikt ist einer der wenigen Schauplätze, wo Moskau auf dem internationalen Parkett als Großmacht agieren kann. Aber Syrien hat auch Relevanz für die Hegemonialkonflikte, die Russland mit dem Westen in seinem eigenen Hinterhof austrägt – Stichwort Ukraine oder Krim. Russland sendet hier das Signal: Wir stehen zu unseren Verbündeten, wer Russland hinter sich weiß, der bleibt an der Macht, auch wenn die USA ihn stürzen wollen. Diese russische Message geht sowohl nach Europa und Washington als auch an die eigenen autoritär regierten Nachbarn, wie etwa Weißrussland oder Turkmenistan.

STANDARD: Eine erfolgreiche Strategie? Schließlich trafen sich Barack Obama und Wladimir Putin.

Wimmen: Die zentrale Rolle Russlands wird aktuell anerkannt, der Konflikt um die Ukraine rückt in den Hintergrund. Aus dieser Sicht ist die russische Strategie erfolgreich. Ich halte es aber für sehr unwahrscheinlich, dass es zu einem Schulterschluss mit konkreten Ergebnissen kommt. Wie würde das denn in der Praxis aussehen? Die internationale Koalition greift den IS seit einem Jahr aus der Luft an und hat damit bislang anscheinend wenig ausgerichtet. Welchen Unterschied sollen die zwanzig russischem Kampfflugzeuge, die angeblich in Latakia bereit stehen, machen, wenn sie nun tatsächlich mit den US-Jets gemeinsam gegen den IS fliegen? Und dass Obama den russischen Weg soweit mitgeht, dass er Assad als syrischen Staatschef rehabilitiert und die syrische Armee unter seinem Oberkommando aufrüstet, halte ich dann doch für ausgeschlossen. Das würde alles konterkarieren, was in den vergangenen Jahren zu Syrien gesagt wurde.

STANDARD: Die Vereinten Nationen versuchen erneut, eine politische Lösung des Syrien-Konflikts voranzutreiben. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon hat vier Arbeitsgruppen eingesetzt, die gemeinsam mit syrischen Playern eine Grundlage für eine Vereinbarung zur Beendigung des Konflikts ausarbeiten sollen. Wer muss daran teilnehmen, um eine Chance auf Erfolg zu haben?

Wimmen: Bei aller Befürwortung von diplomatischen Prozessen habe ich große Zweifel am Output dieser Gespräche. Die Oppositionsvertreter in diesen Arbeitsgruppen werden nur einen sehr geringen Teil der bewaffneten syrischen Opposition repräsentieren. Die Vertreter des Regimes können daher alle möglichen Zusagen machen, die sie niemals umzusetzen beabsichtigen. Weil sie genau wissen dass die Oppositionsvertreter ihrerseits nicht in der Lage sein werden diese Vereinbarungen oder einen Waffenstillstand umzusetzen. So können sich die Regimevertreter und deren internationale Unterstützer als konziliant und friedensbemüht darstellen und der Opposition den schwarzen Peter zuschieben. Während in Wahrheit ihr einziges Ziel ist, die bestehenden Machtstrukturen zu erhalten und allenfalls eine symbolische Beteiligung durch einige handverlesene Oppositionelle zuzulassen.

STANDARD: Das klingt alles nicht nach einer Lösungschance auf diplomatischem Wege.

Wimmen: Gewaltakteure wie der Islamische Staat oder die Al-Nusra-Front sind ohne umfangreiche militärische Gewaltanwendung wohl nicht zu besiegen. Praktisch-politisch würde das heißen: wenn wir es aus politischen und ethischen Gründen ablehnen, Assad zu rehabilitieren und seine Armee neu aufzurüsten, dann braucht es eine umfangreiche internationale Streitmacht. Und die braucht ein internationales Mandat, das ohne Russland nicht zu haben ist. (Manuela Honsig-Erlenburg, 29.9.2015)