Katalonien hat also mehrheitlich für seine Unabhängigkeit gestimmt und befürwortet damit die Forderungen der Liste "Gemeinsam für das Ja" – einer Koalition der Mitte-rechts-Partei CDC von Regionalpräsident Artur Mas und der linksrepublikanischen ERC unter Oriol Junqueras. Dass die Unabhängigkeit der Region aber gar nicht zur Debatte stand, sondern "nur" die künftige Besetzung des Regionalparlaments, das interessierte kaum jemanden. Auch so kann Realpolitik aussehen.

Madrid weigert sich naturgemäß, im katalanischen Urnengang vom Sonntag mehr zu sehen als eine routinemäßige Regionalwahl – doch andererseits wird kurz vor Weihnachten das neue Parlament gewählt: Separatismus, Föderalismus, Zentralismus – alles Themen, mit denen es sich auch spanienweit vortrefflich wahlkämpfen lässt. Die existenziellen Probleme des Landes drohen dabei auf der Strecke zu bleiben. Und damit auch deren Lösung.

Die Wahl in Katalonien hallt auch dieses Mal wieder nach – etwa in das nur wenige Hundert Kilometer weiter westlich gelegene Baskenland, in dem die Vorgänge intensiv beobachtet werden. Auch dort finden nächstes Jahr Regionalwahlen statt – und auch dort werden sie umfunktioniert werden zu einem Plebiszit pro oder kontra Madrid.

Zusätzliche Motivation wird der katalanische Urnengang auch für die Nationalisten in Schottland bedeuten, wo sich vor einem Jahr zwar eine Mehrheit für den Verbleib beim Vereinigten Königreich aussprach, wo aber die Abspaltungsbemühungen keineswegs ad acta gelegt wurden. Im Gegenteil: Die schottische Premierministerin Nicola Sturgeon sprach erst kürzlich von einem zweiten Referendum, sollte sich Großbritannien 2017 per Volksabstimmung tatsächlich von der EU lossagen. Und in jener norditalienischen Region, die die rechte Lega Nord als "Padanien" bezeichnet, witterte man am Montag bereits einen auffrischenden "Wind der Freiheit" für ganz Europa.

Freilich, wohl keine dieser Unabhängigkeitsbewegungen hat eine Chance auf baldige Realisierung. Doch in Zeiten, in denen sowohl die EU als auch viele ihrer Mitgliedstaaten oft führungs- oder zumindest orientierungslos wirken, sehnen sich viele Bürger nach Zuständen, in denen alles einfacher und überschaubarer ist. In dem Streben nach einer regionalen Dimension sehen mittlerweile viele einen Ausweg. Und das Momentum wird umso größer, je kleiner die Lösungskompetenz der "hohen Politik" erscheint. (Gianluca Wallisch, 28.9.2015)