Der Arzneipaprika ist einer der Pflanzen, die am Austrian Drug Screening Institute analysiert werden.

Foto: ADSI

Günther Bonn ist Professor für Analytische Chemie.

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Innsbruck – Wenn man dem Chemiker Günther Bonn zuhört, wie er über Salicylsäure spricht, drängt sich rasch der Eindruck auf, dass die Natur eine ziemlich raffinierte Pharmazeutin ist. Bonn ist Co-Direktor des Austrian Drug Screening Institute (ADSI), in dem mit naturwissenschaftlichen Methoden die Wirkung von Naturstoffen analysiert wird.

Natürlich kommt die Salicylsäure in der Rinde von Weiden vor. Ihr synthetischer Nachbau ist der Inhaltsstoff des Schmerzmittels Aspirin. Jedoch scheint die Weidenrinde raffinierter konstruiert zu sein als das Medikament: "Wenn man zu viel Aspirin nimmt, gibt es ein Problem mit der Magensäure", sagt Bonn. In der Weide kommt der Inhaltsstoff allerdings in Kombination mit anderen Zusatzprodukten vor, "und diese puffern die Nebeneffekte".

So zeigt sich an der Salicylsäure ein Grundzug von Naturstoffen, der Bonn besonders fasziniert: Ihre Wirkung lässt sich nicht immer nur auf Reinsubstanzen zurückführen, sondern oft kommt es auf die Mischung an, in der Naturstoffe auftreten.

Das vom Wissenschaftsministerium und vom Land Tirol geförderte Forschungsinstitut nahm vor zweieinhalb Jahren die Arbeit auf. Besonders interessieren sich die Wissenschafter am ADSI für Naturstoffe, die Wirkung beim sogenannten metabolischen Syndrom, das die häufigste Ursache von Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist, bei Entzündungen und bei Erkrankungen der Leber zeigen.

Pflanzliche Pharmazeutika

120 Pflanzen sollen im Laufe von drei Jahren untersucht werden. Das Screening der Pflanzen erfolgt mit verblindeten Proben, denn die Forscher sollen nicht davon beeinflusst sein, ob sie gerade wissentlich einen Thymian oder eine Schlüsselblume vor sich liegen haben. Bisher konnten bei sieben Pflanzen entsprechende Wirkstoffe nachgewiesen werden. Welche das sind, ist geheim – die Forschung wird teils von Unternehmen finanziert, die aus den relevanten Naturstoffen pharmazeutische Produkte entwickeln wollen. Man spricht dabei von Phytopharmaka – also Pharmazeutika, deren Wirkstoffe ausschließlich pflanzlicher Herkunft sind.

Zwei Drittel der untersuchten Pflanzen wurden aufgrund von Fachliteratur ausgewählt. Es handelt sich dabei um Pflanzen, bei denen positive Wirkungen vermutet werden, die aber noch nicht komplett gesichert sind. Ein Drittel der Pflanzen wurde aufgrund von Überlieferungen der Volksmedizin ausgewählt – "Pflanzen, von denen schon die Großmutter gesagt hat, dass sie wirken", sagt Bonn. Auch Pflanzen der traditionellen chinesischen Medizin werden in Innsbruck mit den Methoden der analytischen Chemie untersucht. "Es gibt viele Heilpflanzen, einige sind bereits gut untersucht, andere noch kaum."

Schon beim Anbau der Pflanzen setzen die Wissenschafter mit ihrer Analyse an. Meist ist es entscheidend, die Pflanze zum richtigen Zeitpunkt zu ernten, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Ein in Innsbruck entwickeltes Infrarot-Messgerät erlaubt es, die Inhaltsstoffe einer Pflanze noch auf dem Feld zu analysieren, um so den besten Erntezeitpunkt zu ermitteln. "Da geht es oft nur um ein oder zwei Wochen", sagt Bonn.

Im nächsten Schritt geht es um die Extraktion der Wirkstoffe aus der Wurzel, dem Stängel oder der Blüte. Ein Teil dieser Extrakte wird in der Zellbiologiegruppe unter der Leitung von Co-Direktor Lukas Huber am ADSI untersucht.

Realität im Körper

Dort gibt es Zellkulturen, die den Körper imitieren – also menschliche Fett- und Muskelzellen. "So versuchen wir, der Realität im Körper möglichst nahe zu kommen", sagt Bonn. Durch entsprechende Reizung werden diese Zellen zur Entzündung gebracht und anschließend analysiert, ob die vermuteten Wirkstoffe, die Entzündungen tatsächlich hemmen. Falls dem so ist, wird die Wirkweise genauer analysiert.

Eine Frage, die Bonn im Zusammenhang mit Naturstoffen besonders interessiert: Wie unterschiedlich wirken verschiedene Stoffe auf Menschen, etwa bei Männern und Frauen? Möglicherweise könnten schon auf Ebene der Zellkulturen Genderunterschiede ausgemacht werden – doch die Forschung dazu steht noch am Beginn.

Nach einem Chemie- und Physikstudium an der Universität Innsbruck und Auslandsaufenthalten wurde Bonn zunächst an die Universität Linz berufen, seit 1995 ist er Professor für Analytische Chemie in Innsbruck. In seiner Arbeit interessieren ihn daher nicht nur Wirkstoffe für Pharmazeutika, sondern auch Lebensmittelzusatzstoffe. In einem gemeinsamen Forschungsprojekt mit der Fachhochschule Oberösterreich und dem Management Center Innsbruck (MCI) werden etwa Algen auf relevante Inhaltsstoffe untersucht.

Ein weiterer Anwendungsbereich für die Forschung am ADSI sind E-Zigaretten: Bisher werden diesen Aromastoffe aus der Lebensmittelindustrie zugefügt. "Jetzt gibt es immer mehr den Wunsch nach Pflanzenextraktstoffen", sagt Bonn. Die Forscher untersuchen daher, was mit den Naturstoffen bei der Temperatur von E-Zigaretten passiert. Fallen die Tests positiv aus, entstehen aus Bonns Forschung womöglich Heilpflanzen zum Rauchen. (Tanja Traxler, 2.10.2015)