STANDARD: In den meisten Ländern Europas geht die Wahlbeteiligung zurück – woran liegt das?

Fallend: Allgemein an einer gewissen Unzufriedenheit mit den jeweils herrschenden Parteien – wenn die Bürgerinnen und Bürger das Gefühl haben, es nützt recht wenig, wenn sie ihre Stimme abgeben. Konkret in Österreich bezogen auf die Bundesregierung und die Tatsache, dass die Regierungsparteien schon sehr lange im Amt sind – und dass sich an der Regierungszusammensetzung seit 2007 nichts geändert hat.

STANDARD: Als 1987 die Wahlbeteiligung in Wien um 21 Prozent gefallen ist, hat der damalige Bürgermeister Helmut Zilk gemeint, dass das eben ein Ausdruck der Zufriedenheit wäre. Diese Interpretation ist von der Forschung überholt?

Fallend: Theoretisch kann man sich das vorstellen. Aber Umfragen unter Nichtwählern zeigen klar, dass der größere Teil das Wahlrecht nicht wahrnimmt, weil er politikverdrossen ist – oder mit dem aktuellen Angebot an Programmen und Personen nicht zufrieden ist.

STANDARD: Gibt es Krisensituationen, die zum Wählen motivieren?

Fallend: Unzufriedenheit kann demotivieren. Wenn die Leute aber so unzufrieden sind, dass sie den Regierenden, denen man vorwirft, dass sie nicht auf einen hören, einen Denkzettel verpassen wollen, kann sich das umkehren. Ich vermute, dass die höhere Wahlbeteiligung in Oberösterreich auch auf die Unzufriedenheit mit dem Handling der Flüchtlingskrise zusammenhängt. Das nutzt der FPÖ.

STANDARD: Kann das in Wien eine andere Partei für sich nutzen?

Fallend: Wien ist der Inbegriff einer Großstadt: Das Oberösterreich-Wahlergebnis könnte hier einige Leute mobilisieren, die nicht wollen, dass die FPÖ zu stark wird. Da könnten Leute, die das ursprünglich nicht vorgehabt haben, zur Wahl gehen, damit die FPÖ nicht Nummer eins wird. Ein großer Teil derer, die jetzt die FPÖ wählen, wollen ja die FPÖ nicht in einer Regierungsverantwortung, sondern vor allem protestieren. (Conrad Seidl, 30.9.2015)