Künstlerin Julia Krahn mit ihrem Vater in einer Pietà.

Foto: Julia Krahn

Eine durch digitale Malerei geschaffene Maria von Dorothee Golz.

Foto: Dorothee Golz

Graz – Die Haltung der Figuren ist den meisten Betrachtern wahrscheinlich seit der Kindheit bekannt: Ein Mensch liegt tot in den Armen eines anderen Menschen. Trauer. Schmerz. Liebe. Vereinigt sind sie in jeder Pietà. Doch irgendwas stimmt nicht an der Fotografie. Da liegt nicht der gekreuzigte Sohn in den Armen seiner Mutter. Da liegt ein älterer Mann in den Armen einer jüngeren Frau. Die Künstlerin Julia Krahn drehte die Pietà um. Statt Mutter und Sohn sieht man eine Tochter, die den Vater in den Armen hält – im konkreten Fall ist die Tochter die Künstlerin selbst, Krahns Vater gab den Sterbenden.

Der Applaus der Muttergottes

Krahn spielt immer wieder mit der Bildsprache traditioneller christlicher Kunst. In einer anderen, mehrteiligen Foto- und Videoarbeit stellt sie – selbst in blaues Tuch gehüllt – die Muttergottes mit dem Himmel in Trauer zugewandten Armen nach. In der raschen Bildfolge des Videos sieht die Pose dann so aus, als ob Maria applaudieren würde. Krahns Arbeiten sind Teil der Ausstellung Reliqte, Reloaded: Zum Erbe christlicher Bildwelten heute. Die Kuratoren Johannes Rauchenberger und Alois Kölbl haben Arbeiten von 36 Künstlern versammelt, die sich spielerisch, kritisch und tiefgründig mit christlicher Ikonografie und damit mit Fragen des Glaubens selbst auseinandersetzen.

Maria hat es auch der Künstlerin Dorothee Golz angetan. In ihren "Digital Paintings" schlägt Golz scheinbar mit Leichtigkeit – tatsächlich aber in zeitaufwendigen Arbeitsprozessen – Brücken über die Jahrhunderte hinweg. Man erkennt die Gesichter der Madonna wieder, wie sie Memling, van der Weyden oder Raffael verewigten. Doch sie gehören zu Frauen der Gegenwart, die mit ihrem Hund am Stadtrand von Wien, in einem Warteraum oder in einem Hotelzimmer sitzen. Die Maria mit rotblonden Haaren und gesenktem Blick hat etwa gerade ihre Stöckelschuhe abgestreift. Wer sagt eigentlich, dass die Heilige heute nicht so aussehen könnte?

Gerade in einer Zeit, "wo rechte Kreise" sich des sogenannten Abendlandes zu bemächtigen versuchen, wollte man sich die christliche Bildwelt genauer ansehen, so Rauchenberger. Dabei spannt man einen breiten Bogen – künstlerisch wie auch intellektuell. Eine der wertvollsten Arbeiten ist hier Arnulf Rainers übermaltes Metallkreuz, das er 1958 für eine Grazer Kapelle anfertigte. Im Kontrast dazu steht Manfred Erjautz' Lego-Kreuz mit integriertem Lkw, das durch die Flüchtlingstragödie auf einer burgenländischen Autobahn plötzlich in einem neuen Assoziationsraum steht.

Ein anderes Kreuz, lebensgroß und schwarz, wurde von Werner Reiterer wie ein düsterer Deckenpropeller am Plafond der alten klösterlichen Räume montiert. Es symbolisiert die dunkle Seite der Geschichte des Christentums. Der Titel der Arbeit: Wer Wind sät. Julia Bornefeld schuf ein mehrere Meter langes fotografisches Reenactment von Leonardo da Vincis Das letzte Abendmahl. Auch sie bat ihren Vater aufs Bild, er gibt den Jesus, der in Bornefelds Version allerdings mit seinen Jüngern an einem lichterloh brennenden Tisch sitzt. An alte Altarbilder erinnert Michael Triegels Deus absconditus – wenn man so will, ein Suchbild, in dem es vor Symbolen aus biblischen Mythen und der Heilsgeschichte nur so wimmelt. (Colette M. Schmidt, Spezial, 2.10.2015)