Der Aufstieg der FPÖ und der reziproke Niedergang der SPÖ sind besorgniserregend – indes unerwartet ist diese Entwicklung nicht. Politisch Hellsichtige warnten davor seit langem. Vor ein paar Jahren las ich im STANDARD: "Rechte Populisten werden leichtes Spiel haben, die wutgetränkte Apathie breiter, extrem enttäuschter und gedemütigter Schichten in Wahlerfolge umzumünzen." Nun, es ist so weit.

Die SPÖ ist sehenden Auges ins Verderben marschiert. Sie hat sich im "Weltkrieg Reich gegen Arm", der seit 20 Jahren immer heftiger geführt wird, auf die falsche Seite geschlagen. Das zeigt sogar die vielgepriesene Steuerreform. Stephan Schulmeister bezeichnete diese als den "roten Irrweg". Menschen mit einem Monatsverdienst unter 1500 Euro, prekär Beschäftigte und Arbeitslose stellen mehr als die Hälfte der Unselbstständigen, also rund zwei Millionen Personen oder 25 Prozent der Österreicher und Österreicherinnen. Diese wurden von der Steuerreform links liegengelassen. Jetzt stehen sie rechts und wählen die FPÖ. Die wahren Profiteure der Steuerreform sind Menschen mit Einkommen um 4000 Euro brutto. Wenn die SPÖ beteuert, sich um "die Armen und Ärmsten zu kümmern", so ist dies eine glatte Lüge – und ihre Verkünder wissen es.

"Seit 1998 haben Arbeiter einen Reallohnverlust von 14 Prozent hinnehmen müssen." Das steht im Einkommensbericht 2014 des Rechnungshofes – wahrlich kein ultralinker Verein. Das ist aber ein Durchschnittswert, also die noch recht harmlose Schlagzeile. Der Bericht führt weiter aus, dass die unteren zehn Prozent der Einkommensbezieher inflationsbereinigt 35 Prozent Wertverlust hinnehmen mussten, das untere Viertel rund 20 Prozent Entwertung seines Einkommens (Teilzeit und Billiglohnarbeit eingerechnet).

Diese empörenden Daten vor Augen scheint mir die geheuchelte Entrüstung Hannes Androschs, "wie könne man so fremdenfeindlich sein, wo wir doch im drittreichsten Land der Erde leben", gründliches Nebelwerfen. Er kennt die Zahlen. Ein Viertel der Österreicher wird von Jahr zu Jahr de facto ärmer! Noch obszöner ist seine Behauptung, der Wohlstand "macht die Menschen hartherzig". Das Gegenteil ist wahr: Armut macht hart. "Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral"

Um gerade über ökonomische Verunsicherung nicht sprechen zu müssen, kamen die mutigen Flüchtlinge gerade recht. Auch Landeshauptmann Josef Pühringer konnte den an seiner Niederlage Schuldlosen mimen. Erinnerlich bleibt aber, wie gerade er im ORF noch vor einem Jahr stolz verkündete, wie viele Arbeitsplätze er in Oberösterreich eingespart habe.

Bedauerlicherweise laufen FPÖ-Wähler Rattenfängern hinterher. Wo sind ihre Forderungen nach Erhöhung und Verlängerung des Arbeitslosengeldes, nach Erhöhung der Mindestsicherung, der Mindestpensionen? Wann unterstützte die FPÖ Lohnforderungen? Wann empfahl sie Vermögenssteuern? "Sozialschmarotzer", "soziale Hängematte", "Drückeberger", "Faule und Fleißige", das sind die gängigen spalterischen Etikettierungen.

In seinen Langzeitstudien zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit spricht der Bielefelder Sozialwissenschafter Wilhelm Heitmeyer von "Orientierungslosigkeit", welche nachweislich mit ökonomischen Ängsten und "Gefühlen der Benachteiligung" positiv korrelieren. Es ist relativ einfach, solche Menschen undifferenziert gegen Homosexuelle, Fremde, Muslime, Asylwerber, Juden, Sinti und Roma und selbst gegen heimische Arbeits- und Obdachlose aufzuwiegeln. Wer bleibt über: WIR. Das ist das ganze Programm aller rechtsorientierten Parteien in Europa.

Orientierungslosigkeit führt nämlich meistens dazu, die wahren Ursachen des eigenen Unglücks nicht zu erkennen.

Eine verheerende Rolle bei der Konsolidierung von Orientierungslosigkeit spielen neben den Parteien die Medien. In der Wahlberichterstattung des ORF etwa wird faktisch nie über politische Inhalte, Forderungen, Programme oder Pläne gesprochen. Die Frage, wie die FPÖ die Arbeitslosigkeit oder Armut in Oberösterreich bekämpfen möchte, wäre erhellend bis entlarvend gewesen. Aber nein, gefragt wird: Wie ist Ihre Stimmung? Wie fühlen Sie sich? Werden Sie zurücktreten? Aber Sie haben doch gesagt! Mit wem werden Sie koalieren? Waren Ihre Prognosen richtig? Wer ist verantwortlich?

Noch verderblicher war die täglich überbordende Berichterstattung über die sogenannte Flüchtlingskatastrophe oder Flüchtlingskrise. Statt ständiger Alarmstimmung, geschürt von Boulevard und ORF, braucht es für gelassene, kritische Orientierung eine objektive, datenbasierte Information. Allerdings: Der Weltkrieg "Reich gegen Arm" braucht desorientierte Menschen, wenn die Reichen weiter im Vormarsch bleiben wollen. (Georg Herrnstadt, 2.10.2015)