Mehr als 206.000 Flüchtlinge sind allein seit Anfang September nach Österreich gekommen; nur 9500 haben um Asyl angesucht. Was ist, wenn Deutschland die Einreisemöglichkeiten drosselt oder gar die Grenze dichtmacht? Wer die politische Debatte in Deutschland verfolgt, weiß, dass die Großzügigkeit bei der Aufnahme von Flüchtlingen inzwischen infrage gestellt ist. Bundespräsident Joachim Gauck sagte vergangenen Sonntag in einer Rede: "Wir wollen helfen. Unser Herz ist weit. Doch unsere Möglichkeiten sind endlich." Das Asylrecht sei nicht nach Zahlen zu bemessen, aber "unsere Aufnahmekapazität ist begrenzt, auch wenn noch nicht ausgehandelt ist, wo diese Grenzen liegen".

Es ist eine Frage der Zeit, bis Flüchtlinge, die im Osten einreisen, nicht mehr an der Westgrenze weitergereicht werden können. Wien wird von Berlin wohl vorab über den Tag X informiert. Mithilfe des Bundesheeres kann die Grenzsicherung intensiviert werden. Aber es werden weiter Flüchtlinge ins Land strömen und dann bleiben wollen bzw. müssen. Generalstabschef Othmar Commenda sagte in einem STANDARD-Interview: "Das gesamte Land, also auch die grüne Grenze, lückenlos dichtzumachen ist aus meiner Sicht unmöglich." Die Schlepper fänden "neue Wege, wenn Flüchtlinge nicht mehr wie derzeit per Bahn oder entlang der Straßen kommen können".

Die meisten Flüchtlinge gelangen ohne Schlepper bis an die ungarisch-österreichische Grenze. Sie landen vor allem in Nickelsdorf, wo Betreuung und weitere Beförderung von Hilfsorganisationen, freiwilligen Helfern und der Polizei inzwischen bestmöglich organisiert sind. Dass nun just die Innenministerin Gewalteinsätze vorhersagt, sorgt nicht nur bei der Polizeigewerkschaft für Empörung: "Die Politik hat den Karren in den Dreck gefahren, nun sollen Polizisten ihren Kopf hinhalten", sagte Gewerkschaftschef Hermann Greylinger.

Aber die bisher vorhandenen rund 15.000 Notquartiere werden nicht ausreichen, um die dann für längere Zeit im Lande befindlichen Flüchtlinge aufzunehmen. Viele Quartiere sind gar nicht für einen längeren Aufenthalt ausgestattet.

Wenig überraschend ist auch die Tatsache, dass die kalte Jahreszeit naht. Es müssen unter Hochdruck neue, winterfeste Quartiere gefunden werden. Das am Donnerstag in Kraft getretene Durchgriffsrecht gibt die Möglichkeit dazu. Dass der Bund das nun geltende Gesetz ausnutzt, empört nur Oberösterreichs Landeshauptmann Josef Pühringer. Die Bundesländer und Gemeinden haben genug Zeit gehabt, Unterkünfte zu organisieren.

In Oberösterreich hat die ÖVP auch deshalb derartige Stimmeneinbußen verzeichnet, weil sie den Wählerinnen und Wählern nicht die Wahrheit gesagt hat: In einigen Gemeinden wurde mit Blick auf den Wahltermin zugewartet, Quartiere zu belegen oder einzurichten. Viele Bürger fühlten sich von der Politik für dumm verkauft oder alleingelassen mit ihren Ängsten.

Wie viel die Aufnahme von Flüchtlingen tatsächlich kosten wird, dazu gibt es auch keine klaren Aussagen vonseiten der Bundesregierung. Deshalb kann ein von Ö1 verbreitetes Geheimpapier eine derartige Wirkung entfalten. Der Chef des Staatsschuldenausschusses, Bernhard Felderer, hat ebenfalls konkrete Zahlen genannt – aber andere. Was gilt nun?

Wer nicht kommuniziert, schürt Ängste. Die Wahrheit ist den Wählern zumutbar. (Alexandra Föderl-Schmid, 3.10.2015)