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Jayne Huckerby sieht die nicht abnehmende Zahl von westlichen Frauen im IS als Folge einer "sehr ausgeprägten Anwerbungspolitik".

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"Kein bestimmtes Profil, unterschiedlichste soziale und biografische Hintergründe", so beschreibt es Jayne Huckerby, Direktorin der Human Rights Clinic an der amerikanischen Duke University. Das weibliche Gesicht des "Islamischen Staats" ist schwer zu fassen – und am Dienstagabend Thema einer ExpertInnendiskussion im Kreisky-Forum in Wien. Neben Huckerby, die sich seit sechs Jahren intensiv mit Extremismusbekämpfung und dem IS beschäftigt, werden dabei Dalia Ghanem-Yazbeck, Politikwissenschafterin am Carnegie Middle East Center in Beirut mit Forschungsschwerpunkt Islamismus und Jihadismus in Algerien, und Alexandra Bradford, Expertin für "hausgemachten" Terrorismus und weibliche Radikalisierung, dem Thema nachgehen.

Nicht nur Opfer des IS

Das Phänomen westlicher Kämpfer für einen "Islamischen Staat" ist in den vergangenen Jahren in den Fokus europäischer Regierungen und NGOs gerückt. Wurden dabei früher vor allem junge Männer als anfällig betrachtet, zeigen aktuelle Berichte, dass auch junge Frauen zunehmend dem IS beitreten oder mit ihm sympathisieren und Propagandamaterial verteilen. Manche Schätzungen gehen von zehn Prozent Frauenanteil unter den westlichen IS-Brigaden aus. Huckerby ist vorsichtig, was Zahlen angeht: "Ich kann keine Zahlen nennen. Aus manchen westlichen Ländern sind es mehr, aus manchen weniger. Aus den USA und Frankreich mehr. Für eine Weile hat man gedacht, dieser Trend der weiblichen Radikalisierung wird abnehmen, wenn die Frauen erkennen, was der IS wirklich ist, aber das ist nicht so. Die Regierungen müssen dieses Phänomen sehr ernst nehmen."

Welche religiösen, ideologischen, politischen und persönlichen Motive stecken hinter der Radikalisierung von Frauen? "Es ist immer eine Mischung aus Push & Pull, also Abstoßung und Anziehung – die Frauen sind oft isoliert in ihrem Heimatland, werden da also abgestoßen, und sind gleichzeitig angezogen von einer Idee der Zugehörigkeit und Schwesternschaft in einem potenziellen islamischen Staat", sagt Huckerby. "Am Beginn dieses Phänomens, dass Frauen nicht nur Opfer des IS sind, sondern auch Täterinnen, haben die Regierungen oft die Komplexität dieses Vorgangs unterschätzt. Das ist immer eine Kombination aus politischen und persönlichen Motiven."

Ausgeprägte Anwerbungspolitik

Sie sieht die zumindest nicht abnehmende Zahl westlicher Frauen im IS auch als Folge einer "sehr ausgeprägten Anwerbungspolitik". Wie kann dem entgegengetreten werden, und was sind die wichtigsten Voraussetzungen für eine Reintegration dieser Frauen? Gibt es einen Unterschied zwischen jungen Frauen, die zum IS wollen, und solchen, die mit anderen radikalen Gruppen sympathisieren? Und wenn ja, mit welchen? Was unterscheidet junge europäische Frauen, die zum IS gehen, von denen aus arabischen und/oder islamischen Ländern? Das Thema ist hochkomplex, und Huckerby warnt davor, Frauen und Mädchen in dem Bestreben, sie zu beschützen, in ihren Grundrechten einzuschränken: "Der Grat, auf dem Terrorismusbekämpfung wandert, ist ein schmaler." (Tanja Paar, 5.10.2015)