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Die Klinik von Ärzte ohne Grenzen nach dem Bombardement in Vollbrand.

Foto: AP/Médecins Sans Frontières

Ein Pfleger der Organisation Ärzte ohne Grenzen schildert, wie Patienten hilflos in ihren Betten verbrennen und ein Kollege auf einem zum OP-Tisch umfunktionierten Schreibtisch unter den Händen der verbleibenden Ärzte stirbt. Die Luftangriffe auf die Klinik wurden über eine Stunde lang in mehreren Wellen geflogen, 22 Menschen kamen dabei ums Leben: Die Berichte der Überlebenden des US-Bombardements des Krankenhauses von Kunduz lassen die komplette Tragweite des Horrors erahnen.

Der Generaldirektor der belgischen Abteilung von Ärzte ohne Grenzen, Christopher Stokes, wirft den USA mittlerweile offen ein Kriegsverbrechen vor und fordert eine Untersuchung durch eine internationale und unabhängige Organisation.

Zunächst wurde verbreitet, dass Kämpfer der Taliban vom Klinikgelände aus afghanische und US-Truppen beschossen haben sollen, was die Ärzteorganisation umgehend zurückwies. Zwei Tage später wechselte die verantwortliche US-Militärführung nun ihre Version der Geschehnisse und schiebt die Schuld ihren afghanischen Partnern zu. Diese hätten laut dem US-Afghanistan-Kommandanten John Campbell die Luftschläge angefordert. Das klingt nach einer Schutzbehauptung, schließlich wusste das US-Militär genau, was es an diesen Koordinaten bombardiert – Ärzte ohne Grenzen gab seine Position routinemäßig allen Konfliktparteien bekannt. Und ungeprüft fliegt die US-Luftwaffe unter Garantie keine Angriffe auf Bestellung.

Auch die Behauptung des Pentagonchefs Ashton Carter, es würde einige Zeit dauern, die Fakten zu klären, weil die Situation "verworren und kompliziert" sei, lässt darauf schließen, dass die USA nur mäßig interessiert sind, den Vorfall aufzuklären. Aus der militärischen Befehlskette muss klar hervorgehen, wer zu welchem Zeitpunkt den Angriff befohlen hat. Wenn der Verteidigungsminister vorgibt, nach zwei Tagen noch nicht umfassend informiert zu sein, ist das schlicht unglaubwürdig.

Das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) hält eindeutig fest, dass ein vorsätzlicher Angriff auf ein Krankenhaus ein Kriegsverbrechen darstellt. Stokes' Vorwurf an Washington ist also zu teilen. Die USA haben jedoch die Unterzeichnung des Statuts im Jahr 2002 widerrufen. Nicht nur das: Gleichzeitig wurde von der Bush-Regierung damals der als "Den-Haag-Invasionsgesetz" bekannte American Servicemembers' Protection Act erlassen, der US-Bürger vor der Strafverfolgung durch den IStGH schützen soll und den US-Präsidenten ermächtigt, Angeklagte gegebenenfalls auch mit militärischer Gewalt befreien zu lassen.

Es ist klar, dass von Washington keine Kursänderung im Umgang mit Den Haag erwartet werden kann. Trotzdem muss international Druck gemacht werden, dass die USA die Verantwortung für ihr Tun übernehmen. Gerade deswegen darf Europa nun nicht schweigen und muss immer wieder daran erinnern, dass das Völkerrecht für alle gleichermaßen zu gelten hat. Gerechtigkeit kann nur durchgesetzt werden, wenn sich alle Staaten dem internationalen Recht unterwerfen. (Michael Vosatka, 6.10.2015)