Führungskräfte sind nachweislich offener, selbstsicherer, extrovertierter als der Durchschnittsmitarbeiter oder die Durchschnittsmitarbeiterin.

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Ist der Unterschied Folge ihres Aufstiegs? Jule Specht, Professorin für Persönlichkeitspsychologie, meint nein: "Die Beförderung verändert die Menschen nicht. Sie werden aufgrund bereits vorhandener Eigenschaften für die Position ausgewählt."

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Sehr wohl Einfluss haben hingegen der Einstieg in den ersten Job und die Pensionierung.

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Nicht Reisen, Heirat oder die Geburt des eigenen Kindes, sondern berufliche Veränderungen haben offenbar den größten Einfluss auf den Charakter. Zu diesem Resultat gelangte Jule Specht, Professorin für Psychologie. Sie erforscht an der Freien Universität Berlin, wie sich die menschliche Persönlichkeit im Lauf des Lebens verändert. Dazu wertet sie Daten des Sozioökonomischen Panels, einer Längsschnittstudie des deutschen Instituts für Wirkungsforschung (DIW), aus. Seit mehr als dreißig Jahren werden dafür mehr als 30.000 Menschen detailliert zu ihren Lebensumständen befragt.

Über die bisherigen Ergebnisse sagt Specht: "An und für sich ist die Persönlichkeit sehr stabil. Es gibt aber einzelne Veränderungen, und die treten vor allem als Reaktion auf berufliche Ereignisse auf." Bei einem beruflichen Wechsel passe sich der Mensch an die neue Herausforderung an – dadurch ändere sich sein Charakter, "auch über den Beruf hinaus".

Anfang und Ende

Besonders einschneidende Ereignisse offenbar: der Start ins Berufsleben und das Ausscheiden aus dem Berufsleben. "Wir haben beispielsweise herausgefunden, dass junge Erwachsene zunächst noch sehr wenig gewissenhaft sind. Das ist normal. Beginnen sie ihren ersten Job, steigt die Gewissenhaftigkeit relativ schnell an", sagt Specht. "Im hohen Erwachsenenalter, wenn die Person in Rente geht, sinkt die Gewissenhaftigkeit wieder."

Diese Resultate würden nachweisen, dass die berufliche Rolle stark auf die Persönlichkeit Einfluss nimmt. "Solange der Beruf von einem verlangt, dass man zuverlässig ist, ordentlich und pünktlich, passt man sich dem an", sagt Specht. "Wenn der Druck sinkt, sinkt die Gewissenhaftigkeit ebenfalls wieder."

Auch die Art der Tätigkeit bringe gewisse Charaktereigenschaften hervor oder verstärke bereits vorhandene. Menschen im Verkauf müssten beispielsweise besonders charismatisch sein, um ihre Produkte an den Mann oder an die Frau bringen zu können. "Es kann durchaus sein, dass sich Menschen an diese Rolle anpassen."

Verantwortung ändert nichts

Scheinbar keinen Einfluss auf die Persönlichkeit hat hingegen die Übernahme einer Führungsposition. "Chefs unterscheiden sich in ihren Eigenschaften stark von anderen Personen: Sie sind emotional besonders stabil, überdurchschnittlich gewissenhaft, außerordentlich extrovertiert und offen. Dieser Unterschied ist aber nicht Folge, sondern Voraussetzung ihres Aufstiegs", meint Specht, die das Ergebnis der Untersuchungen "selbst überraschte", wie sie sagt: "Ich hatte angenommen, dass sich die Menschen deutlich verändern, wenn sie Führungsverantwortung übernehmen."

Momentan würden Unternehmen Kandidaten auswählen, indem sie sie nach den gesuchten Eigenschaften selektieren. Vor dem Hintergrund der empirischen Befunde zum Thema hält Specht das für den falschen Weg: "Wenn wir wissen, dass die Persönlichkeit veränderbar ist und sich an berufliche Herausforderungen gut anpassen kann, gäbe es die Möglichkeit, Führungskräfte zu coachen, um die Persönlichkeit an die Anforderungen der Rolle als Führungskraft anzupassen", sagt die Wissenschafterin. "Hier liegt viel Potenzial für Personalentwicklungsmaßnahmen."

Besonders verträglich

Gemessen hat das Forscherteam die sogenannten Big Five, die fünf "großen" Persönlichkeitseigenschaften: emotionale Stabilität (wie selbstsicher oder sorgenvoll jemand ist), die Extraversion (wie gesellig oder zurückhaltend), die Verträglichkeit (wie freundlich oder misstrauisch), die Gewissenhaftigkeit und die Offenheit für neue Erfahrungen.

Besonders erfolgreiche Führungskräfte würden übrigens nicht nur vier der fünf gefragten Eigenschaften (emotionale Stabilität, Gewissenhaftigkeit, Offenheit und Extrovertiertheit) aufweisen sondern seien auch noch besonders "verträglich", sagt Specht. "Das widerlegt klar das Vorurteil, dass man dann besonders erfolgreich ist, wenn man sich mit Ellenbogen durchboxt." (Lisa Breit, 8.10.2015)