Beim Berlinmarathon wird nicht nur gelaufen, sondern auch gerollt: Handbikes, Rollstühle und Inlineskater sind da über die Marathondistanz unterwegs. Und zwar mit einem Tempo, das Menschen wie mich sanft erschauern lässt.

Berlinmarathon war vor zwei Wochen. Und am Samstagnachmittag ließen es die Inlineskater auf dem 42-Kilometer-Kurs krachen: Als da am Leipziger Platz das Auto vor dem Führenden an mir vorbeisauste, zeigte die Uhr am Dach eine Fahrzeit von gerade 50 Minuten an. Wow.

Wieso "wow"? Beim Leipziger Platz hat man über 38 Kilometer hinter sich. Das ergibt ein Durchschnittstempo von … ach lassen wir das: Ich werde sonst depressiv.

Foto: Thomas Rottenberg

Ich bin kein Skater. Wenn es hochkommt, bin ich zehn-, allerhöchstens 15 Mal auf Inlineskates gestanden. Eislaufen sieht bei mir dementsprechend aus – und die zwei mal, die ich es mit Eishockey versucht habe, wurden zum Glück nie im Bild fest gehalten: Die Erzählungen genügen.

Foto: Thomas Rottenberg

Aber ich würde es gern können können. Eishockey einerseits. Viel lieber Eisschnellaufen. Oder eben Inlineskaten: Die flüssige und elegante Bewegung der "in Line" (egal auf welchem Untergrund) hat mir immer schon gefallen. In Berlin zuerst den Führenden (einsam) vorbeiziehen zu sehen, war schon was. Aber drei Minuten danach die ersten Verfolger waren der spektakulärere Anblick. Und dann – wieder Minuten hintennach – der erste Pulk erst recht: Dynamisch. Zügig. Ästhetisch. Und – quasi – im Gleichschritt choreographiert. In einer Körperhaltung, die ich keine zwei Minuten halten würde.

In dem Augenblick machte es "oops": Berlin war eine hervorragende Ausrede gewesen. Nämlich dafür, NICHT zu skaten: Seit Mai lagen bei mir Inlineskates zum Testen. Aber: Zuerst ging es sich immer irgendwie nie aus. Dann war der Lauf-Trainingsplan so dicht, dass ich keine Zeit für was Anderes hatte. Außerdem wollte ich mich nicht mit irgendeiner Blödheit knapp vor einem Marathon verletzen. Darin bin ich nämlich wirklich gut.

Ab auf die Hauptallee

Aber jetzt war der große Lauf vorbei: No Excuses left. Ab auf die Hauptallee. Die Leute von K2 hatten mir zum Testen den VO2 100 X-Pro geschickt. Einen Herren Trainings-Soft-Boot, der sich von meinen uralt-Böcken (einem dunkelgrün- bis dunkelblauen Hartschalen-Dreischnaller aus den frühen Nullerjahren) schon in Zahl und Größe der Rollen dramatisch unterschied: Vier große (zwei 100mm-Rollen hinten und zwei 90mm Rollen vorne) statt fünf kleiner, gleich großer Rollen. (Dachte ich: Erst beim Nachschauen sah ich, dass es auch vier sind.) Die Montageschiene der kleinen Rollen war ein Schotter-Fänger: Wenn es kurz knirschte, wußte ich, dass es mich gleich nach vorne schnalzen würde – der kleinste Stein genügte, die Rollen zu blockieren. In der Erinnerung hat es ständig geknirscht.

Hier hatte ich nun aber nicht nur größere Rollen — sie waren auch in einer "offenen" Schiene montiert. Das machte Mut. Außerdem waren die Schuhe leicht und weich. Das Anziehen erinnerte mich weniger an das Fuß-Hineinquetschen in alte Skischuhe, als das gemütliche Einsteigen in Snowboard-Stiefel. Schuhband- und Schnallenverschlüsse (K2 nennt es "Speed Lace System") erinnerten auch ans Board – und der Stand im Schuh war ähnlich "soft". Gut so.

Foto: Thomas Rottenberg

Blöderweise muss man halt auch fahren. Mit diesem Schuh sollte man es auch können. Und zwar besser, als ich: "Skater, die Geschwindigkeit lieben, aber keinen reinen Marathon-Skate wollen, werden den VO2 100 X Pro lieben", steht auf der K2-Homepage. Und: "Dieser superschnelle High-Performance-Skate ist dazu gebaut, Kilometer zu machen!" Außerdem wird auf die Qualitäten des Schuhs als Tempo- und Trainingsschuh für Fortgeschrittene hingewiesen. Na Servus …

Foto: Thomas Rottenberg

Natürlich sah meine Fahrerei furchtbar aus. (Meine Freundin, eine geübte Bladerin, hatte viel Spaß. Sie war aber höflich genug, nur zu lachen, wenn sie ein Stück vor mir fuhr. Sie rollte sehr oft sehr weit vor mir … ). Die Kastanien auf der Prater Hauptallee machten die Sache nicht einfacher. Allerdings: Die großen Rollen halfen. Ich pflügte durch die Schalen – und hatte kein einziges mal das Gefühl, dass da etwas blockieren würde. Und trotz der Größe waren sie wendig. Wobei: meine Turns hatten wohl eher Öltanker-Wenderadien.

Unter der Tangente bogen wir in Richtung Donauinsel ab. Der Asphalt auf der Allee ist rumpliger, als der auf der Insel. Woran ich nicht dachte: Um von der Brücke auf die Insel zu kommen, muss man eine Wendel hinunterfahren. Also entweder Vertrauen in das eigene Kurven-Fahrkönnen haben – oder einen Fuß so querstellen können, dass man dosiert bremst. Oder beides. Muss ich erwähnen, das ich weder das eine noch da andere auch nur ansatzweise kann? Ich fluchte, schwitzte, betete – und legte mein ganzes Gewicht in die Fersen-Stoppelbremse. Aber ich kam heil nach unten. Herzdame hatte Seitenstechen. Vor Lachen.

Foto: Thomas Rottenberg

Geradeausfahren ging dann aber immer besser. Und machte sogar richtig Spaß: Die großen Rollen und der Schuh machen Schnellfahren wirklich zum Kinderspiel. Kurven muss man auf der Insel ja, gottlob, kaum fahren: Das hebe ich mir fürs nächste Mal auf.

Die K2-Leute hatten mir ja nicht nur Skates (plus Sicherheitsausrüstung) geliehen – sie schickten auch Bilder: In denen zeigt die zweifache deutsche Biathlon-Weltmeisterin Miriam Gössner ein paar Fitnessübungen, die beim Skaten Kraft- und Koordinationsteigern helfen. "Die Kraftübungen, die gezeigt werden, sind auch sehr leicht nachzumachen", behauptet Gössner – aber allein die Vorstellung, dieses Übungen zu probieren, verursachen mir Schweißausbrüche.

Foto: k2

Natürlich könnte ich mich jetzt darauf ausreden, dass Gössner (und auf anderen Bildern der Rest der deutschen Biathlon-Mannschaft, die im Sommer auf Skates in Seefeld Slalomfahren, Kondition oder Kurventechnik trainierte) auf den Bildern jene Sicherheitsausrüstung nicht trägt, die anzulegen der Hersteller jedem dringend empfiehlt.

Mit Schutz

Auch mir legte man Helm, Knie-, Ellbogen- und Handgelenkschützer bei. Und natürlich legte ich das Zeug an: Das tue ich auch bei Sportarten, in denen ich mich sicher & daheim fühle.

Foto: Thomas Rottenberg

Die Schützer waren deutlich kleiner und bequemer als das Zeug, das ich bei meinen früheren Skate-Versuchen übergestreift hatte. Gut so.

Foto: Thomas Rottenberg

Der Helm aber war nicht meiner: Es gibt runde und ovale Grundformen – und ich bin ein Rund-Helm-Kopftyp. Da ist es kein "Fehler" des Herstellers, wenn der Helm an der Stirn drückt – sondern einfach das falsche Modell.

Foto: Thomas Rottenberg

Wie auch immer: die Skaterei hat Spaß gemacht. Und auch wenn ich nicht viele Referenzwerte abrufen kann, habe ich den Unterschied zwischen meinem Uralt-Material und den K2-High-End-Skates schon auf den 25 Kilometern spüren können, die es schlussendlich wurden. Und auch wenn ich es gerne wieder versuchen würde (und werde): Darüber, ob mir dieses gelegentliche Vergnügen tatsächlich etwa 280 Euro (ohne Schutzausrütung) Wert ist, muss ich noch nachdenken. (Thomas Rottenberg, 11.10.2015)