Das Elend der Parteien ist ihre Ferne zu den Orten der Meinungsbildung gewöhnlicher Menschen.

Es ist nicht allzu riskant zu prognostizieren, dass die Wahlverlierer bei der Frage nach den Gründen der Niederlage auch diesmal Zuflucht bei der Phrase nehmen werden: Leider hätten sie ihre Botschaft nicht erfolgreich kommunizieren können.

Die Benutzung derartiger Floskeln verweist auf ein Problem, das die politische Klasse Österreichs seit mehreren Jahren nicht loszuwerden vermag. Sie hat sich mit Haut und Haar Sinndeutern ausgeliefert, die eines gemeinsam haben: Ihr Rat kostet Geld, und sie, die Sinndeuter, hätten ihre Berufung als Politikberater verfehlt, würden sie darauf verzichten, die Gründe jedes Versagens dort zu suchen, wo ihre vermeintlichen therapeutischen Fähigkeiten plausibel wirken.

Dabei stimmt die Diagnose der Sinndeuter zumindest zur Hälfte, doch mit halben Wahrheiten kommt man nicht weit, schon gar nicht, wenn es um Wahlen geht.

Halb wahr ist die Rede vom Kommunikationsdefizit, weil der Niedergang aller Parteien tatsächlich damit zu tun hat, dass in ihnen nicht mehr viel miteinander gesprochen, diskutiert und gestritten wird. Solches findet mangels Masse nicht mehr statt. Die Parteispitzen haben angesichts rückläufiger Zahlen von Parteimitgliedern damit reagiert, auf Ein-Weg-Kommunikation umzusteigen. Das Aufeinandertreffen von Mächtigen mit dem Fußvolk findet nur noch medialisiert statt. Am roten Telefon der SPÖ spricht ein Anrufer bestenfalls mit einer Politikerin. Öffentliche politische Meinungsbildung sieht anders aus.

Die wenigsten Menschen haben festgefügte, stabile politische Meinungen oder gar Wahlpräferenzen, vielmehr bilden sie dies alles in Auseinandersetzung mit anderen. Wenn jemand zu etwas keine oder eine noch sehr unsichere Meinung hat, fragt sie oder er Freundinnen und Verwandte, Arbeitskolleginnen und Nachbarn um deren Meinung. Aus solchen Austauschepisoden resultieren unsere eigenen Meinungen.

In Österreich, aber nicht nur hier, können wir seit längerem ein Auseinanderdriften sozioökonomischer Milieus konstatieren. Zur Illustration: Modernisierungsverlierer, Schulabbrecher, Arbeitslose sprechen – wenn überhaupt – nur mit ihresgleichen, und dasselbe gilt für Gutmenschen, Akademiker und Mitglieder der politischen Klasse. Alle bleiben unter sich und bestätigen einander wechselseitig.

Ich weiß schon, was mir darauf geantwortet werden wird. Die Parteifunktionäre seien im Wahlkampf doch wie die Einser gerannt. Jaja, aber da ist es schon zu spät. Die Parteien ließen sich von den Sinndeutern einreden, die "Menschen draußen" würden sich erst im letzten Moment entscheiden, ergo sei ein zu früher Wahlkampfbeginn von Übel. Politische Überzeugungen bilden sich jedoch nicht kurzfristig und verdanken sich vor allem dem Einfluss jener, denen man vertraut – und das sind in der Regel Menschen aus dem persönlichen Naheverhältnis.

Mit FP-Wählern gesprochen?

Parteien, Schulen, die meisten NGOs (mit Ausnahme der Freiwilligen Feuerwehr) und erst recht Stadtteile und Umlandgemeinden der größeren Städte werden sozial immer homogener. Daher haben diejenigen, deren Ängste die Sinndeuter und die ihnen folgenden Politiker stets auf den Lippen tragen, wenn sie ihr eigenes Versagen wegerklären wollen, faktisch keine Chance, jemanden aus "besseren Kreisen" auch nur zum gelegentlichen Austausch von Meinungen zu treffen. Und die Bekämpfer des Populismus haben im vergangenen Halbjahr sicherlich mehr mit Afghanen und Syrern geradebrecht denn auch nur mit einem FPÖ-Wähler gesprochen.

Wahlen sind in Österreich immer auch politische Intelligenztests, und es ist eins ums andere Mal bemerkenswert, dass die Stimmabgabe für Witzfiguren, Dummköpfe und Demagogen nicht als das gesehen wird, was es vor allem ist: ein Mangel an politischer Bildung dieses Teils der Wählerschaft gepaart mit einer ordentlichen Portion Wut über vermeintliches und tatsächliches Zu-kurz-Kommen. Beides wird getoppt durch die Sicherheit aufseiten derer, die seit einem Vierteljahrhundert ihre Stimme so vergeben, dass letztlich eh nix passiert. Würden diese Wähler nämlich etwas geändert sehen wollen, müssten sie sich ja die Arbeit machen abzuwägen, welche Partei was durchzusetzen in der Lage wäre.

Man könnte daraus den Schluss ziehen, dass ein politisches System auch dank der Zustimmung von sieben von zehn Wählern funktionieren kann und man den unbelehrbaren Rest in Nachschulung schickt – doch dann müsste man ja erst recht mit denen wirklich reden, statt nur Botschaften zu kommunizieren. (Christian Fleck, 09.10.2015)