Desorientierung, Belastungsstörungen etc. sind das Thema von Edmund Clarks Guantánamo-Serie.

Foto: Edmund Clark

Der Titel des sechsten Fotografie-Festivals in Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg ist sperrig: [7P] – [7] Orte [7] Prekäre Felder. Was soll das bedeuten? Schaut man sich das komplexe Konzept dahinter genauer an, wird es deutlicher: Die Zahl Sieben hat eine Sonderstellung im Zahlensystem – sie gilt vielen als Glücks- oder Unglückszahl, steht genauso für die antiken Weltwunder wie für die Todsünden im Christentum.

Vor diesem Hintergrund hat sich der diesjährige Kurator Urs Stahel, der als Gründer und ehemaliger Leiter des Fotomuseums Winterthur als einer der wichtigsten und bestvernetzten Experten auf seinem Gebiet gilt, mit dem Zwischenreich dieser Extreme beschäftigt. Eines ist sicher: Wir leben in einer schnelllebigen Zeit der Umbrüche. Ungewissheit, Unsicherheit und Flüchtigkeit bestimmen unser Leben.

Und weil das größte aus einer Hand kuratierte Fotofestival Deutschlands (und wahrscheinlich sogar Europas) in diesem Jahr an sieben Ausstellungsorten stattfindet, hat Stahel auch sieben prekäre, kritische Bereiche der heutigen Gesellschaft definiert: (Hightech-)Produktion, Logistik und Migration; Gewalt und Zerstörung; Architektur, das Urbane und die Stadt als Investment; Geld und Gier; Wissen, Ordnung und Macht; die Zelebration des Ichs, Narzissmus und der Verlust der Person sowie unsere Kommunikation und ihre Kontrolle.

3500 Fotos

Arbeiten von 50 Künstlern aus 18 Nationen beschäftigten sich mit diesen Fragen, insgesamt sind rund 3500 Fotos ausgestellt. Davon macht allein die Arbeit von Hiroko Komatsu 2500 Barytabzüge aus. Sie hat Baustellen und Fabriken von Baumaterial fotografiert – die globale Gleichförmigkeit der Strukturen und die universelle Einsatzmöglichkeit reizt die Japanerin – und daraus eine beeindruckende Installation aufgebaut: Wände und Fußboden sind komplett bedeckt, der Besucher läuft über die noch stark nach Fotochemie riechenden Abzüge, der gesamte Raum wirkt wie eine unaufgeräumte Baustelle.

Mit dem geplatzten Glücksversprechen der Immobilienbranche in Spanien hat sich Sylvain Couzinet-Jacques beschäftigt. In einem abgedunkelten Raum werden Fotografien von Bauruinen starkem UV-Licht ausgesetzt (Standards&Poors), man darf nur mit einer entsprechenden Schutzbrille hinein. Im Laufe der Ausstellung bleichen die Bilder immer weiter aus, der Traum vom schnellen Geld platzt. Zynischer ist die Arbeit von Taysir Batniji. Er hat im Stil von Maklerbüros Verkaufsanzeigen für Wohnhäuser gestaltet, doch das Foto zeigt das durch den Angriff der israelischen Armee auf den Gazastreifen inzwischen zerstörte Gebäude.

Der Weg einer Streubombe

Fast schon klassisch – und auch ein wenig einfallslos – wirkt dagegen das große Wandtableau von Ai Weiwei, dem bekanntesten Künstler des Festivals. Er hat zwischen 2002 und 2008 als Provisional Landscapes in chinesischen Städten die Abbruch- und Neubauarbeiten dokumentiert, in deren Zuge die traditionellen Hutong-Häuser systematisch abgerissen und durch Hochhäuser ersetzt werden, wodurch eine Art zweite Kulturrevolution stattfindet. Dies sind alles Beispiele aus dem Bereich "Urbanismus und Real Estate" im Zephyr in Mannheim.

Eindrucksvoll ist aber auch Lukas Einseles riesige Wandinstallation The Many Moments of an M85 aus Fotografien, Texten, Objekten und QR-Codes im Wilhelm-Hack-Museum zum Thema "Hightech, Logistik und Migration". Mit ihr zeichnet er den Weg einer Streubombe nach – vom Ort der Explosion im Libanon zurück über die Ingenieure bis zu den Aktionären der Deutschen Bank. Schnell wird deutlich, wie durch die Komplexität der Zusammenhänge das Verantwortungsbewusstsein jedes einzelnen Akteurs schwindet.

In "Gewalt und Zerstörung" im Kunstverein Ludwigshafen collagiert Thomas Hirschhorn Modeaufnahmen mit schrecklichsten Kriegsbildern, Edmund Clark hat in Guantánamo fotografiert – unter den strengen Augen der Zensurbehörden, Suzanne Opton hat Soldaten nach ihren Einsätzen in Afghanistan porträtiert, und das Duo Adam Broomberg und Oliver Chanarin stellt in Divine Violence Textstellen der Bibel, in denen es um Gewalt geht, Bildmaterial des Londoner Archive of Modern Conflict gegenüber. Es ist eine düstere Zeit, in der wir leben. (Damian Zimmermann aus Mannheim, 12.10.2015)