Eine Comicfigur gesteht ihre Schuld am Börsencrash: Axel Stockburgers "Fat Finger Confession" (2013).

Foto: Axel Stockburger

Die Installation The Whole Truth (2012) von Lawrence Abu Hamdan befasst sich mit Lügendetektoren, wie sie von der Grenzpolizei oder Versicherungsgesellschaften angewendet werden.

Foto: Eva Würdinger

Wien – "Es war nur eine Null zu viel", sagt der Börsenhändler in Axel Stockburgers Video Fat Finger Confession (2013), "ein kleiner Fehler." Allerdings einer mit großen Folgen: Der fiktive Geständige ist dabei, die volle Verantwortung für den (realen) "Flash Crash" an der Wall Street vom 6. Mai 2010 zu übernehmen. Ein "fat finger trade" sei ihm passiert, also – salopp übersetzt – ein "Wurstfingerhandel". Dieses eingängige Bild verwendet der Börsenjargon für Handel, bei denen Vertipper im Spiel sind. Darum stecken die Hände des Sündenbocks auch in riesigen vierfingrigen Comic-Handschuhen à la Mickey Mouse.

Der Witz an dieser anonymisierten "Whistleblower"-Figur ist indes: Sie nimmt eine Schuld auf sich, die vielleicht gar nicht ihre ist. Es gelte in der Zwischenzeit als sehr wahrscheinlich, sagt Stockburger, dass nicht menschliches Versagen den Flash Crash verursachte, sondern vielmehr ein Softwarefehler in einem der Algorithmen, die im Hochgeschwindigkeitshandel zum Einsatz kommen. Allein, so der Künstler: "Es wäre zu schrecklich, sich einzugestehen, dass Maschinen Fehler machen". Geradezu beruhigend sei die Vorstellung, dass Computer zum Versagen auf menschliche Hilfe angewiesen sind.

In Sylvia Eckermanns Singularium (2015) steckt man seinen Kopf, um mit dem zersplitterten Selbst allein zu sein.
Foto: Eva Würdinger

Die Widersetzlichkeit des Menschlichen

Stockburgers Verfilmung dieser These, eine 20-minütige Ironisierung des Bekenntnisfernsehens, ist aktuell in der Ausstellung Social Glitch zu sehen, mit der der Kunstraum Niederösterreich das Verhältnis zwischen Mensch und "System" in den Blick nimmt. Den Begriff Glitch lösen die Kuratoren Gerald Nestler, Sylvia Eckermann und Maximilian Thoman dabei aus seinem technologischen Kontext heraus.

Sind mit Glitches ursprünglich mikroelektronische Haspler gemeint oder im weiteren Sinne auch softwarefehlerbedingte Bild- und Tonphänomene, so lässt Social Glitch jene Medienkunst, die die Störung ästhetisiert, außen vor. Die 17 gezeigten Positionen drehen sich vielmehr um Fehler im System der hochtechnologisierten Gesellschaft, um die Widersetzlichkeit des Menschlichen gegen die Systematisierung etwa. Nicht nur Fukushima sieht Nestler also als Glitch, sondern auch Edward Snowden.

Christina Goestls Video Shift, Whole Body Experience Fragments (2013-2015) bringt monumentale Körper-Closeups in den Kunstraum Niederösterreich.
Foto: Christina Goestl

Ein Selfie vom zersplitterten Spiegelbild machen

Es versteht sich von selbst, dass sich unter diesen Prämissen ganz unterschiedliche Arbeiten zusammenführen lassen. Dennoch findet die Schau ihre Fokuspunkte, zum Beispiel in der Frage nach der Übersetzbarkeit des Menschen in Maschinensprache. Um Lügendetektoren dreht sich etwa die Installation The Whole Truth (2012), mit der Lawrence Abu Hamdan fragt, wie legitim es ist, aus einer Stimmanalyse Stress oder Angst des Befragten zu eruieren.

Sie korrespondiert mit einem Filmessay über Fingerabdrücke von Ayesha Hameeds (A Rough History (of the destruction of fingerprints), 2015), trifft aber in Social Glitch auch auf eine gar plakative Arbeit von Kuratorin Eckermann namens Singularium (2015): Man steckt seinen Kopf in einen innen verspiegelten Polyeder, um mit dem eigenen, zerfaserten Spiegelbild nebst dessen verpixelter Version allein zu sein. Auch wenn man hier schöne Selfies vom zersplitterten Selbst machen kann, ist das eher ein Soso- als ein Aha-Erlebnis. Das gilt auch für Shift, Whole Body Experience Fragments (2013-2015) von Christina Goestl, ein Video, das zeigen soll, dass der Körper "doch wichtig ist" (Nestler), auch im digitalen Zeitalter – und zwar durch eine Serie von Nahaufnahmen des Körpers.

Ihre Stärken hat die Schau in den dokumentarischen Arbeiten, dort, wo sie von ökonomischen oder soziopolitischen Realitäten ausgeht: etwa in Harun Farockis Ernste Spiele 1. Watson ist hin (2010), worin die Rolle von Computerspielen in der Soldatenausbildung thematisiert wird. (Roman Gerold, 13.10.2015)

Bei aller "Treue im Detail ist der Tod im Computerspiel etwas anderes als der reale", schrieb Harun Farocki zu seiner Arbeit Ernste Spiele 1. Watson ist hin (2010), einer Dokumentation über die Verwendung von Computerspielen in der Soldatenausbildung.
Foto: Harun Farocki