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Das Haus der Geschichte soll auf rund 3000 Quadratmetern in der Neuen Burg entstehen. 1700 sind für eine Dauerausstellung, 550 für Sonderausstellungen. Auch Stiegenaufgänge will man bespielen.

Foto: APA/Techt

Wien – Das "s" hat man bewusst weggelassen: "Haus der Geschichte Österreich" (HGÖ), nicht "Österreichs", lautet der Arbeitstitel für jenes Projekt, für das der Historiker Oliver Rathkolb im Auftrag des Kulturministers mit einem international besetzten, wissenschaftlichen Expertengremium eine 95-seitige Umsetzungsstrategie ausgearbeitet hat (wie der STANDARD berichtete). Dass es zahlreiche Zugänge zur österreichischen Geschichte gibt und diese nicht an den heutigen Staatsgrenzen endet, ist dem Gremium bewusst. Entsprechend viele Wege soll das fehlende "s" offen halten.

In der Umsetzungsstrategie sind Vorstudien enthalten, inhaltliche Leitlinien, organisatorische und räumliche Konzepte sowie ein detaillierter Zeitplan. Schon 2018, zum 100-Jahr-Republiksjubiläum, soll demnach die erste Ausstellung des HGÖ gezeigt werden. Die Wahl des Standorts – ein heftig umstrittenes Thema – fiel letztendlich auf die Neue Burg. Am Montag diskutierten in der Akademie der Wissenschaften führende Historiker, Museumsfachleute und Kulturwissenschafter unter Beteiligung des Publikums über die Sinnhaftigkeit des Projekts. Dass Österreich ein Haus der Geschichte gut anstünde, war unter den Experten weitgehend unbestritten. Wie genau dieses Haus aber auszusehen hätte, darüber gingen die Vorstellungen auseinander.

Manfried Rauchensteiner, ehemaliger Direktor des Heeresgeschichtlichen Museums, gab eingangs einen Überblick über die gut 30-jährige Genese des Projekts und seiner Vorläufer. Etwa das staatstragende Republikmuseum Karl Renners, das dieser ab 1946 in der Hofburg etablieren wollte, ehe es seine Nachfolger aufließen. Der Wunsch nach einem historischen Museum kam erst wieder in den 1980er-Jahren auf, als die Schuldfrage am Nationalsozialismus im Zuge der Waldheimaffäre eine Wendung nahm und Österreichs Opfermythos sukzessive dekonstruiert wurde. Es folgten Studien, Grundsatzpapiere und Standortdebatten – "letztlich hieß es aber immer wieder 'kein Geld'", so Rauchensteiner.

Keine "Meistererzählung"

2006 wurde in Berlin das Deutsche Historische Museum (DHM) eröffnet, das in großen Teilen auch österreichische Geschichte erzählt und dem heimischen Projekt erneut Beine machte. Unter Historikern stark umstritten, ist das auf tausende Objekte und klassische Zeittafeln setzende DHM beim Publikum ausgesprochen beliebt. Als Vorbild für ein HGÖ, darin waren sich die Anwesenden einig, tauge es aber nicht. Denn im Gegensatz zum DHM wolle man im HGÖ ein "antiteleologisches" Ideal verfolgen, also keine "Meistererzählung" liefern, wie Oliver Rathkolb erklärte. Es solle Raum für diskursive Geschichtsbetrachtung bieten und Zeiten längsschnittartig zueinander in Beziehung setzen, etwa Parallelen zwischen industrieller und digitaler Revolution aufzeigen. Damit ähnele es vielmehr dem Haus der Europäischen Geschichte in Brüssel, das diesen Herbst eröffnet werden soll.

Als zeitlichen Rahmen des HGÖ markierte Rathkolb einmal mehr ein "langes 20. Jahrhundert", von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart, mit besonderem Fokus auf die Geschichte ab 1918. "Tiefenbohrungen", etwa hinsichtlich der Französischen Revolution von 1789 oder der Reformen Josephs II., seien möglich und auch nötig, meinte Rathkolb. Das HGÖ sieht er vor allem auch als "Katalysator für ein zweites Museumsquartier", denn schließlich solle der ganze Heldenplatz sein Erscheinungsbild ändern.

Den Balkon "brechen"

Der zentrale Balkon der Neuen Burg, auf dem Hitler 1938 den Anschluss verkündete, sei eigentlich eine Terrasse – erst die Propaganda der Nazis habe ihn zum Balkon gemacht, wartete Rathkolb mit einer kleinen Neuigkeit auf. Nun will man den Balkon historisch "brechen", vom Anschlussmythos befreien und in die Republik holen. Der Blick vom Balkon hinüber zum Parlament soll eine "demokratiepolitische Achse" bilden. Für das ebenfalls historisch belastete Äußere Burgtor hegt man ähnliche Pläne. Als Beispiel für eine architektonische Intervention wurde der Entwurf eines Glasaufbaus gezeigt.

Skeptisch, aber aufgeschlossen gab sich bei der Tagung Gerhard Botz, emeritierter Professor für Zeitgeschichte an der Uni Wien. Den Heldenplatz hält er für einen "riskanten Ort". Der Wucht dieser imperialen Architektur könne man sich nur schwer entziehen, so Botz, der vor "Fremdenverkehrskitsch" warnte. Er selbst hätte sich ursprünglich das Künstlerhaus als Ort für das HGÖ gewünscht. Inhaltlich verwies Botz auf die wieder steigende Bedeutung von Migrationsbewegungen.

Geschichtsphilosophisch äußerte sich die Historikerin und Kulturwissenschafterin Heidemarie Uhl. In ganz Europa würden historische Museen in den vergangenen Jahren einen Boom erleben. "Warum haben Museen so an Bedeutung gewonnen?", fragte sie. "Weil sie womöglich mehr über die Gegenwart als über die Vergangenheit aussagen", so Uhl. Vielleicht werde man dereinst von der heutigen Zeit gar als "Zeitalter des Gedächtnisses" sprechen.

Unterschiedliche Auffassungen gab es unter den Experten hinsichtlich der Stellung digitaler Ausstellungstechniken. Karl Vocelca, Historiker an der Uni Wien, hielt ein Plädoyer für die Nutzung neuer Medien und virtueller Ausstellungen. Kulturmanagerin Monika Sommer-Sieghart betonte hingegen die Vorteile der realen Erfahrung und Objekte. Manfred Rauchensteiner stellte die rhetorische Frage: "Wenn alles virtuell sein soll, warum sollte ich dann noch ins Burgtheater gehen?"

Kulturpessimistisch äußerte sich der Historiker und Archivar Michael Hochedlinger. In seiner unterhaltsamen Polemik mit dem Titel "Geschichtsvernutzung im Zeitalter von Kulturkapitalismus und Moralismus" kritisierte er die Popularisierung der Geschichte. "Wird etwas gut besucht, erübrigt sich die Sinnfrage." Wie die Politik sei auch der Kulturbetrieb zutiefst populistisch geworden. Der Kulturkapitalist spreche überhaupt "nur noch in Zahlen".

Oliver Rathkolb hielt von Hochedlingers Rundumschlag wenig und verteidigte das vorläufige Konzept des HGÖ. Für dieses liegt inzwischen auch schon eine nicht unerhebliche Zahl vor: 27,8 Millionen Euro soll das neue Haus laut "Kurier" kosten. (Stefan Weiss, 14.10.2015)