Erster "Budgetziegel" Hans Jörg Schellings im Parlament: Der Finanzminister will – wirtschaftlich gesehen – in der Champions League statt in der Regionalliga Ost spielen.

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Hans Jörg Schelling hat keine allzu hohe Meinung von der eigenen Zunft. "Die Menschen sind in ihren Auffassungen längst weiter als die Politik", urteilt er vor den versammelten Vertretern derselben. Nach wie vor gebe es zu viele Politiker, "die sich hinter der Wahrheit verstecken".

Dass Schelling, seit 408 Tagen einer der mächtigsten Männer der Politik, es anders macht, soll jener "Ziegel" Papier beweisen, der vor ihm auf der Regierungsbank liegt. Sein erstes Budget stellt der Finanzminister im Hohen Haus vor, eine Aufgabe, die den sonst so coolen Vorarlberger offenbar nicht ganz kaltlässt. Schelling klammert sich mehr als üblich an sein Manuskript, startet holpriger, als es ihm bei anderen Gelegenheiten in freier Rede gelingt. "Mehr Tempo bei Reformen" lautet das Generalthema der Premierenansprache. "Der Standort Österreich muss wieder zurück in die Champions League", fordert er. "Mit der Regionalliga Ost sollten wir uns nicht zufriedengeben."

77 Milliarden Ausgaben

Dieser Anspruch in Zahlen gegossen: Laut Schellings Haushaltsentwurf für das Jahr 2016 wachsen die Ausgaben von 74,7 auf rund 77 Milliarden Euro und damit stärker als die Einnahmen, die von 71,5 auf 71,9 Milliarden anschwellen. Weil das Bruttoinlandsprodukt (BIP) aber stärker steigt, soll die Schuldenquote nach zwei Jahren Anstieg nun von 86,5 auf 85,1 Prozent des BIP sinken; dabei habe man die pessimistischeren Schätzungen verwendet, betont Schelling. Auch das gesamtstaatliche Defizit soll sinken, von 1,9 auf 1,4 Prozent des BIP. Österreich würde damit weit unter der kritischen Maastricht-Grenze von drei Prozent landen.

Die EU-Kommission hält aber einen anderen Wert für entscheidend: das strukturelle Defizit, bei dem Konjunkturschwankungen und Einmaleffekte herausgerechnet sind. 0,54 Prozent soll dieses 2016 betragen, womit Österreich die EU-Vorgabe 0,45 Prozent plus vorgesehener Toleranzgrenze erfüllt. Herausgerechnet sind, wie von Brüssel wohl akzeptiert wird, 500 Millionen Euro für Flüchtlingskosten, sonst läge das Defizit um etwa 0,15 Prozent höher.

Schellings reiner Wein

Schenkt Schelling damit jenen "reinen Wein" ein, von dem er spricht? Nicht nur die EU-Kommission, auch das Wirtschaftsforschungsinstitut hat da Zweifel: In ihrer jüngsten Prognose gehen die Experten von einem Minus von 1,1 Prozent aus. Als Unsicherheitsfaktoren nennt Wifo-Expertin Margit Schratzenstaller die Kosten der hohen Arbeitslosigkeit sowie die Gegenfinanzierung der Steuerreform, konkret die Erlöse aus der Steuerbetrugsbekämpfung. Lob zollt Schratzenstaller den geplanten Investitionen in die Unis, den Breitbandausbau und die Arbeitsmarktpolitik.

Gespart werden sollen auch: in der Verwaltung 500 Millionen, bei Förderungen 200 Millionen. Bis 2020 sollen im Apparat – Ausnahme ist etwa die Sicherheit – Stellen so konsequent nicht nachbesetzt werden, dass sich der Staat bis 2020 kumuliert 3,3 Milliarden erspart.

Lohnnebenkosten senken

Schelling will sich damit aber nicht begnügen und setzt Ziele über 2016 hinaus: Er will die Lohnnebenkosten um 1,3 Milliarden senken und die kalte Progression – quasi eine automatische, von der Inflation verursachte Steuererhöhung – abschaffen. Damit verquickt soll es eine Abgabenbremse für alle Gebietskörperschaften geben: Gebühren dürften nur mehr maximal so stark wie die Inflation steigen, konkretisiert der Minister im Interview mit dem STANDARD.

SPÖ-Finanzsprecher Kai Jan Krainer zeigt sich von dieser Idee sichtlich irritiert: "Um ehrlich zu sein, ich verstehe den Vorschlag nicht." Gebühren dürften ohnehin per Definition nur die Kosten abdecken. "Wenn die Wasserleitung einer Gemeinde hin ist: Darf sie die dann nicht mehr reparieren?", fragt Krainer. Außerdem finde er es "schade", dass Schelling damit die Abschaffung der kalten Progression infrage stelle. "Ich dachte, wir sind uns hier einig. Aber wenn er das mit etwas anderem junktimiert, stellt er es infrage."

Überhaupt zeigt sich der Regierungspartner wenig beeindruckt von der Budgetrede: Kaum einmal ringen sich die Sozialdemokraten Applaus ab, zu viel wirtschaftsliberale Reformrhetorik dringt da an die roten Ohren. "Jeder Tag, an dem wir den Staat und seine Ausgaben nicht in Ordnung bringen, ist ein verlorener Tag", sagt Schelling. "Hier darf uns nicht die Puste ausgehen." Noch einmal greift er zu einem Fußball-Vergleich, indem er das im Spitzenfeld angekommene österreichische Nationalteam als Vorbild preist. Doch diese Pointe schießt ihm ein Zwischenrufer von der Oppositionsbank ab: "Wir sollten einen Schweizer als Teamchef holen." (Gerald John, Günther Oswald, 15.10.2015)