Flohmarkt statt Großmarkt: Jenseits des Themas Kapitalismusverlierer deutet die österreichische Künstlerin Johanna Kandl hier Teppiche als abstrakte Malerei ("O.T.", 2014).

Foto: Helmut und Johanna Kandl

Klosterneuburg – Als Kindheitstrauma bezeichnet die Malerin Johanna Kandl (geb. 1954) den Konkurs des elterlichen Farbengeschäfts im 21. Wiener Gemeindebezirk. Verursacht wurde dieser nicht zuletzt durch die Konkurrenz großer Baumärkte ab den 1960er-Jahren. Deshalb entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, wenn Kandl im Essl-Museum ausstellt, also unter dem Dach des Gründers der Baumax-Kette.

"Mein Verhältnis zum Baumarktbesitzer Essl ist nicht ungetrübt", schrieb Kandl 2002 im Text zur Arbeit Fritzelack (Lacke von O. Fritze, immer an der Spitze), einer monumentalen Darstellung des Fritzelack-Firmenlogos. Ein solches prangte auf dem Rollbalken des Ladens ihrer Eltern. Das nostalgieerweckende Emblem zeigt einen auf die Nase gefallenen Lehrbuben, der Farbe verschüttet hat. Den Firmenschriftzug hat Kandl dabei ausgetauscht: "Success is how high you can bounce when you hit the bottom."

Und Kandl hüpfte hoch. Denn sie lernte aus der Niederlage, passte sich, wie es in ihrer die Arbeit ergänzenden Notiz heißt, den ökonomischen Veränderungen an: "Ich verkaufe Farbe als weiterverarbeitetes Produkt." Ein Erfolgskonzept. 1997 kauft ihr das Ehepaar Essl ein rundes Dutzend Bilder ab. "Danach gehe ich das erste Mal in einen Baumarkt und kaufe eine Holzplatte", endet ihre nicht ohne Augenzwinkern verfasste Randbemerkung.

Kapitalismus wird unsexy

Auf Holzplatten fertigte sie viele ihrer Bilder an, die in realistischer Malweise um weltökonomische Verflechtungen kreisen. Sie kontrastierte Fabriksarchitektur und kleine Märkte oder listete in Tempera Bruttoinlandsprodukte auf. Hier konservierte sie ein bedrohtes Mosaik im sozialistischen öffentlichen Raum, dort richtete sie den solidarischen Blick immer wieder auf die Seelenverwandten des elterlichen Betriebs: die kleinen Händler, die Verlierer des Kapitalismus. Demselben prophezeite sie in Idyllenbildern sanft, aber bestimmt den Kollaps: "And then, one day, capitalism was not sexy anymore" steht auf einem Bild von Badenden am See.

Solche seit den Nullerjahren entstandenen Arbeiten bilden indes nur einen Teil der Personale Konkrete Kunst, deren Titel natürlich eine Umdeutung darstellt: In der Kunstgeschichte ist die konkrete Kunst eine geometrische Strömung der Abstraktion. Kandl münzt "Konkretheit" allerdings auf jene Direktheit, jene Wirklichkeitsnähe, die sie etwa den mathematisch-abstrakten Konzepten der Ökonomie entgegenhält.

In den jüngsten Arbeiten betrachtet sie die Bedingungen der Malmittelbranche: Gummi arabicum, das bei Aquarellen als Bindemittel verwendet wird, sei etwa ein äußerst politisches Thema, zumal das Pflanzenprodukt auch für Medikamente oder Softdrinks wie Cola benötigt wird. Seine Bedeutung am Weltmarkt zeigt sich auch darin, dass es vom rigorosen Handelsembargo exkludiert ist, mit dem der Hauptproduzent Sudan als "Schurkenstaat" belegt ist.

Dorthin ist Kandl sogar gereist. Auch bei der Beschäftigung mit den Malingredienzien wie Terpentin, Mastix oder Perlleim wollte sie die Produktionsbedingungen aus nächster Nähe erleben, wollte mit Beteiligten sprechen. Keinesfalls wollte sie "Medienbilder" als Vorlage nehmen, also Fotos, mit denen sie keine persönlichen Erfahrungen verbindet.

Hehr und gut gemeint

So weit, so gut gemeint. Aufbereitet hat Kandl ihre ganzheitlichen Materialstudien in "populärwissenschaftlichen" Arrangements, die vor allem einen Anspruch erfüllen: den der Niedrigschwelligkeit. So hehr jedoch Kandls Ansinnen ist, auch "nicht primär kunstinteressierte Personen" anzusprechen, so sehr geht dieses auf Kosten der Spannung und des Witzes, die ihre früheren Arbeiten prägen – und die deshalb nicht weniger zugänglich sind.

Bestenfalls handelt es sich um informative, enzyklopädische Darstellungen, die sich – leider verhältnismäßig unkritisch – den Stil von Lehrbüchern des 19. Jahrhunderts aneignen. Schön ist die Idee Flecken als minimalistische Kunst zu betrachten oder Materialien auch über Riechen und Angreifen erfahrbar zu machen. Unvorteilhaft wirkt dagegen ein Bild, auf dem über die Köpfe verschleierter Frauen eine Art Sternenhimmel aus Gummi arabicum getupft ist. Solche Kunstgriffe laufen Gefahr, gerade nicht in die intendierte Tiefe zu führen. (Roman Gerold, 21.10.2015)