Der Juli 2015 wird einmal in den Geschichtsbüchern stehen als der Monat, an dem Österreichs Seen beinahe übergingen. Beispiel Attersee: Rund um den oberösterreichischen See gibt es 5.000 Gästebetten. In etwa fünfmal so viele Menschen, also an die 25.000 Gäste, waren im gesamten Juli am Attersee. Das schaut auf den ersten Blick machbar aus: Es wollten ja nicht alle gleichzeitig einen ganzen Monat lang dort übernachten.

De facto sei aber jedes verfügbare Zimmer an jedem Tag dieses Monats nach nur einer halben Stunde wieder belegt gewesen, hörte man aus dem regionalen Tourismusverband. Ein ungewöhnlicher Andrang.

Schriftsteller Christoph Janacs und Fotograf Peter Schlager haben sich im Buch "Off Season" auf die Reise zu Strandbädern in der Nachsaison begeben – hier eine Szene am Wallersee.
Foto: Peter Schlager

Wegen des stabilen Hochsommerwetters und der anhaltend hohen Temperaturen kamen auch fast jeden Juli-Tag ein Viertel mehr Bade- oder Tagesgäste an den Atter-, den Traun- und den Mondsee als im Vorjahr. Dieser Besucherzuwachs stimmt in ungefähr auch für jeden Salzburger, jeden steirischen oder jeden Tiroler See in diesem Sommer – weit bis in den September hinein setzte sich dieser Trend fort. Man sollte also annehmen, die vielbeschworene österreichische Strategie: "Ganzjahrestourismus stärken – Nebensaison aufwerten" geht vielen, die im Rekordsommer 2015 im Tourismus hackeln mussten, in diesem Herbst tendenziell auf den Wecker.

Die Annahme bestätigt sich, fragt man nur bei ein paar ganzjährig geöffneten Campingplätzen an heimischen Seen nach, wie denn nun die Nachsaison laufe. Von "Stellen Sie sich vor, noch immer 16 Wohnwagen mit Holländern – jetzt, Mitte Oktober" am Wörthersee über ein "Wir sind total erledigt" vom Achensee bis hin zu einem von raschem Besetztzeichen gefolgten "I mag endlich mei Rua haben" am Walchsee ist alles dabei.

Ausbaufähige Nebensaison

Mit nur 16 Prozent trügen die Monate September bis November zum Gesamtergebnis der Nächtigungen hierzulande bei, heißt es in einem Strategiepapier der Österreich Werbung aus dem vergangenen Jahr – und das sei wohl noch ausbaufähig. Denn: "Je schnelllebiger und komplexer der Alltag wird, umso größer ist die Sehnsucht nach regelmäßigen Auszeiten", ergänzt Geschäftsführerin Petra Stolba in demselben Papier. Stimmt schon. Aber Auszeiten in der Nebensaison wünschen sich vielleicht nicht nur mehr Urlauber, sondern auch jene, die für sie an den Seen arbeiten.

Ein Fischerboot auf dem Obertrumer See.
Foto: Peter Schlager

Einen besseren Zeitpunkt als den Herbst 2015 hätten sich der Schriftsteller Christoph Janacs und der Fotograf Peter Schlager also nicht aussuchen können, um den Bildband "Off Season" herauszubringen. Betrachter mit einer unerklärlichen Grundfröhlichkeit erscheinen melancholisch textierte Fotografien von spätherbstlichen bis frühfrühlingshaften Seebädern vielleicht in den meisten Jahren als unangebracht trist.

Ruhige Bilder wünscht sich das Auge

Nach dem Massenansturm auf die Bäder im Sommer 2015 ist das bestimmt anders – das Auge sehnt sich dort förmlich nach in sich ruhenden Bildern. Wer heuer in der Nachsaison gut drauf sein will, möchte ganz sicher Fotos von geschlossenen Eintrittskartenhäuschen sehen oder auf kahlen Bäumen vergessene Kuscheltiere am romantischen Fuschlsee – nach einem Sommer wie diesem strahlen diese tatsächlich eine besondere Poesie aus.

Strandbad Unterach am Attersee.
Foto: Peter Schlager

Wenn Janacs etwa in seiner Erzählung "Grabungsarbeiten" in "Off Season" schreibt: "Heuer ist ein besonders gutes Jahr. Ich habe bisher schon mehr Geld beisammen als letztes und vorletztes Jahr zusammengerechnet, und dabei habe ich noch gar nicht das ganze Areal durch", kann man sich schon vorstellen, welche Goldgräberstimmung heuer an österreichischen Seen herrschte. Dabei lässt Janacs dies lediglich einen Bademeister sagen, der in der Sandkiste eines Seebads nach Vergessenem buddelt, um dieses hernach auf dem Flohmarkt zu Bargeld zu machen.

Ein Tretboot am Jachthafen Neumarkt am Wallersee.
Foto: Peter Schlager

Und doch: Das zitierte Papier der Österreich Werbung stammt aus dem August 2014 – einem Zeitpunkt, zu dem ein ausgesprochen durchwachsener Hochsommer der Tourismusbranche große Sorgen bereitete. Eine Herbstkampagne der Österreich Werbung sollte die Nachsaison letztes Jahr beleben – obwohl es bis zum ersten Halbjahr 2014 neuerlich ein Nächtigungsplus im Vergleich zum Vorjahr gegeben hat, das aber vor allem mit der Verschiebung der Feiertage von Mai auf Juni zu tun hatte. "September und Oktober mit meist stabilem Wetter werden für den heimischen Tourismus immer wichtiger", hieß es 2014 resümierend.

Endlich Nachsaison

Bleibt also vermutlich nur noch der November, um den poetisch-melancholischen Zauber oder ungewollt komische Bilder von verlassenen Strandbädern zu genießen, wie es Christoph Janacs und Peter Schlager im Salzburger Seenland oder im Salzkammergut taten. Jene einzige Zeit also, wenn die Seen still liegen und ihre noble Schönheit vor allem jenen zeigen, die in der Gegend leben. Aber so sicher ist das auch nicht mehr – man muss nur drei Jahre zurückschauen in der heimischen Tourismusgeschichte.

Foto: Peter Schlager

Im Jahr 2012 kletterten die Übernachtungen im November erstmals über die Viermillionengrenze – das beste Ergebnis seit 1994, und seit 1992 haben sich die Nächtigungen im November nahezu verdoppelt. Spitzenreiter bei den Zuwächsen in diesem Monat waren damals Tirol, Salzburg und Kärnten – also durchaus seenreiche Bundesländer. (Sascha Aumüller, Rondo, 22.10.2015)