Um die Vielschichtigkeit der Charaktere abzubilden, schuf Cora Pongracz in "verwechslungen" mehrere statt einzelne Fotografien: Franz West inszenierte sich jedoch auf allen irgendwie derangiert.

Cora Pongracz/Ostlicht

Wien – In den 1960er- und 1970er-Jahren war die Stadt Wien angeblich grau: die Häuser, die Straßen, aber auch die Menschen. Das erzählen zumindest jene, die die Stadt zu dieser Zeit erlebten.

Einmal abgesehen vom Fehlen der Farbe, vermittelt der fotografische Nachlass von Cora Pongracz, den die Galerie Ostlicht 2015 erworben hat, aber noch ein ganz anderes Bild: In Einzelbildern und Serien hat die 1943 in Buenos Aires geborene Künstlerin ihr Umfeld in Wien porträtiert, wo die ausgebildete Fotografin nach mehreren Auslandsaufenthalten ab 1969 wieder lebte. 1974 heiratete sie Reinhard Priessnitz, einen Literaten, den man in der Pongracz gewidmeten, insgesamt 120 Schwarz-Weiß-Aufnahmen umfassenden Ausstellung gleich auf mehreren Fotografien sieht.

Schließlich hat sich Pongracz für die damals künstlerisch Tätigen interessiert und die Lesungen ihres Ehemanns genauso dokumentiert wie die Masochistischen Reiteraktionen von Otto Mühl, die Vernissagen befreundeter Malerinnen und Maler, Performances von Joe Berger oder gemeinsame Ausflüge nach Prinzendorf.

Hermann Nitsch ist damit in diesem einzigartigen Porträt der heimischen Avantgarde der Siebziger einer ihrer Protagonisten, allerdings hat Pongracz neben den Künstlern immer auch das Publikum fokussiert: Im Falle von Prinzendorf sind das etwa Friedrich Achleitner, Peter Kubelka und Kurt Kalb; bei einer Performance in der Secession sieht man auf der Zuschauerbank auch den jungen Christian Ludwig Attersee.

Who's who der Avantgarde

Ebenso prominent wie das männliche Who's who der Österreichischen Avantgarde der 1970er-Jahre ist in der so betitelten Ausstellung zudem das weibliche vertreten: Valie Export ist eine der selbstbewusst Porträtierten; auf den sehr eindrücklichen Fotografien tauchen aber auch die Malerin Martha Jungwirth sowie die Autorinnen Elfriede Gerstl und Friederike Mayröcker als zentrale Figuren der Wiener Kunst- und Literaturszene jener Jahre auf.

Martha Jungwirth – Franz Ringel hieß etwa ein Bildband mit Porträts von Vertretern der Gruppe Wirklichkeiten. Außerdem stellen sich in der Galerie Ostlicht Arnulf Rainer und Franz West als wahre Lieblingsmotive der Fotografin heraus. Rainer übte vor ihrer Kamera offenbar seine berühmten Grimassen und lud unter anderem Dieter Roth zu gemeinsamen Fotoséancen (1974) ein; West wiederum ließ andere mit seinen Passstücken interagieren und brachte sich selbst als Motiv in Pongraczs konzeptuell angelegte Fotoserie verwechslungen (1977) ein.

Die Serie, eine kritische Auseinandersetzung mit dem Genre Porträt, trieb Pongracz parallel zu der Dokumentation von Kunst und Leben in Wien voran. Um dem damals aktuellen Diskurs rund um das Zersplittert-Sein von Identitäten gerecht zu werden, wollte sie eine Person mit mehreren Fotos porträtieren statt nur mit einem Einzelbild.

Franz West beim Heurigen

Franz West, den Cora Pongracz auch beim Heurigen fotografiert hat, nutzte seine fünf Bilder allerdings nicht unbedingt zur Darstellung der eigenen Vielschichtigkeit. Vielmehr liegt er auf jedem der Fotos eher derangiert, seine Augen vor dem Sonnenlicht schützend, auf dem Boden. Etwas weniger (selbst)ironisch als West haben das Ganze jene Frauen betrieben, die Pongracz für die Serie 8 erweiterte Portraits – Frauen in Wien (1974) ausgewählt hat: Sie sollten für ihr Porträt die zwei Aufnahmen ihrer Person um fünf weitere, selbstgewählte Motive ergänzen.

Die Wiener Dichterin Heidi Pataki ließ sich dafür etwa nackt porträtieren und bezog neben ihrer Schmuckschatulle und einem Spiegelschrank, eine Jesusstatue, eine russische Kirche und ein Foto ihres Mannes mit ein. Viel aufschlussreicher und mutiger könnte das erweiterte Porträt (das leider einzige Beispiel dieser Serie in der Schau) kaum sein: Pataki zeigt sich in den Fotos ihrer Person offen und unkonventionell und spart darüber hinaus weder die religiösen Einflüsse noch ihre familiäre und finanzielle Abhängigkeit aus. (Christa Benzer , 24.10.2015)