Die strapazierte Zivilgesellschaft verlieh neben einigen wenigen Institutionen der Republik ein menschliches Gesicht. Jener Teil der Zivilgesellschaft, der seit Wochen auf den windigen Bahnhöfen ausharrt. Spenden verteilt. Tröstet. Decken reinigt. Dolmetscht. Da ist, wo zuständige Politiker sich nicht so gerne zeigen. Und ein großer Teil der Zivilgesellschaft sich nicht angesprochen fühlt.

Das soll jetzt kein Vorwurf sein, sondern eine Bestandsaufnahme. Niemand ist verpflichtet zu helfen. Helfen sollen nur jene, die sich dem gewachsen fühlen. Eine Kollegin mit eigener Fluchterfahrung ist beispielsweise angesichts der durch die Medien geisternden Bilder zusammengebrochen, bevor sie, wie beabsichtigt, vor Ort erschien. Andere haben vielleicht selbst mit Problemen zu kämpfen.

Die Lage spitzt sich dennoch zu. Mit zunehmender Kälte erkranken Freiwillige, die Belastung, die der intensive Kontakt mit Traumatisierten bedeutet, wiegt schwerer, je länger man ihr ausgesetzt ist. Die Helfer brauchen Hilfe.

Ein anderer Teil der sogenannten Zivilgesellschaft vertreibt sich die Zeit lieber mit Hassbeiträgen in Foren. Kostet vermutlich auch Energie und Zeit. Das ist jene Skala, zwischen deren Extremen die Gesellschaft derzeit oszilliert.

Es gibt viele Wege, mit der Situation umzugehen. Niemand muss helfen, niemand muss spenden. Aber man kann.

Man kann allerdings der Herausforderung, die eine internationale Krise dieser Art bedeutet, nicht nur ein menschliches, sondern auch ein weniger menschliches Gesicht verleihen. Die Westbahn hat sich leider für Zweiteres entschieden: Während die ÖBB sich seit Wochen vorbildhaft verhielt, verlangte die Westbahn eine 100-prozentige Mietminderung bei den Bahnhöfen, weil der Betrieb nicht einwandfrei gewährleistet worden sei. Auf Facebook legte das Team nach, Bürger seien besorgt gewesen. Der Begriff des besorgten Bürgers ist nicht gerade neutral. So kann man sich natürlich auch als Marke positionieren. (Julya Rabinowich, 24.10.2015)