Alberto Joao und seine Frau vor ihrer Lehmhütte.

Unter diesem Baum saß Alberto jahrelang, zur Untätigkeit verurteilt.

Am Weg ins Spital begleitet Sampaio den 65-jährigen Mann.

Aleksandra Pawloff / Licht für die Welt

Alberto spricht mit Sampaio.

Foto: Aleksandra Pawloff / Licht für die Welt

Doktor Fitsum entfernt die Augenbinden seiner Patienten.

Aleksandra Pawloff / Licht für die Welt

Alberto ist überglücklich nach der Operation, da er endlich wieder sehen kann.

Aleksandra Pawloff / Licht für die Welt

"Wenn ich sehen kann, werde ich wieder Bauer. Ich baue Süßkartoffeln, Bohnen und Mais an. Und ich will mein Haus renovieren", wünscht sich Alberto Joao. Seit er vor sieben Jahren an grauem Star erblindete, sitzt er tagsüber im Schatten eines Baumes, einige Meter von seinem Haus entfernt, einer Lehmhütte mit strohgedecktem Dach. Dünne lange Beine stecken in Jeansshorts, die harten schwieligen Sohlen bezeugen, dass er in seinem Leben wohl schon viele Kilometer barfuß gegangen ist. Die Augen wirken leer, doch sein Gesichtsausdruck ist stark und würdevoll.

Seine zweite Frau sorgt für ihn, allein könnte er hier nicht überleben. Die erste Frau ist verstorben, genauso wie seine sieben Kinder – entweder im Bürgerkrieg oder an Krankheiten wie Malaria. Alberto ist ungefähr 65 Jahre alt, genau weiß er es nicht. Aber er weiß, dass er bereits sieben Jahre zur Untätigkeit verurteilt ist, viel zu lange. Heute wird er von einem Team von "Licht für die Welt", das ich begleiten darf, für seine Operation am grauen Star abgeholt.

Mosambik geht

Alberto lebt im Norden der Provinz Sofala. Die nächste Augenklinik ist in Beira, ungefähr 530 Kilometer in Richtung Süden. Für diese Strecke benötigt man etwa zehn Stunden mit dem Auto. Gemeinsam mit lokalen Organisationen und der Regierung hat "Licht für die Welt" ein Programm gestartet, um mit den Augenärzten zu den Menschen in den entlegenen Orten zu kommen. Eines dieser sogenannten Outreaches liegt in der kleinen Stadt Caia. Seit drei Jahren werden hier Augenoperationen durchgeführt.

Am Vortag ist unsere Reisegruppe auf der Hauptstraße EN1 von der Hafenstadt Beira nach Norden Richtung Gorongosa und weiter nach Caia gefahren. Tiefe Schlaglöcher zwingen die Autos Schlangenlinien zu fahren, an ein rasches Vorwärtskommen ist nicht zu denken. Endlose Stunden fahren wir durch die Savanne und eines bleibt hängen: Mosambik geht. Kinder in hellblauen Hemden mit der Schultasche auf dem Rücken wandern barfuß Kilometer um Kilometer in der sengenden Sonne. Männer schieben beladene Fahrräder. Frauen gehen, in bunte Stoffe gehüllt, auf dem Kopf ein Bündel Holz oder Reisig, in der Hand Wasserkanister, die immer die gleiche gelbe Farbe haben, im Schlepptau ein paar Kinder. Aber wer in diesem Land gehen will, der muss sehen können.

Letzter Dorfbesuch vor 40 Jahren

Im Jeep sitzt Alberto neben Sampaio Nunes, einem lokalen Mitarbeiter von "Licht für die Welt". Beide sprechen Sena, die Sprache dieser Region. In Mosambik gibt es über 40 Sprachen. Gerade fahren wir durch das gleichnamige Dorf Sena, Alberto war hier das letzte Mal im Jahr 1975, kurz vor Ausbruch des Bürgerkriegs. Die gelbrote Sandstraße windet sich durch die Gras- und Buschlandschaft, vorbei an uralten Baumriesen mit mächtigen Ästen.

Eine Entfernung von 100 Kilometern wird für die ländliche Bevölkerung fast unüberwindbar. Manche Private betreiben Transporter bis Chemba oder Caia, auf der offenen Ladefläche der kleinen Lastwagen sitzen dicht gedrängt die Passagiere. Joao S. Duarte, der Bezirkshauptmann von Caia, dem wir in der Früh unsere Aufwartung gemacht hatten, sagte: "Ich bin froh, dass Sie in die ländlichen Regionen kommen, um die Wirklichkeit zu sehen, diese großen Distanzen."

Das wichtigste ist Vertrauen

Für die rund 110 Kilometer bis Caia brauchen wir zweieinhalb Stunden. Alberto steigt an der Hand von Sampaio aus dem Auto. Im Spital wartet schon Doktor Bekele Fitsum. 23 Operationen am grauen Star hat er an diesem Tag bereits durchgeführt, die drei Patienten, die gerade eintreffen, kommen heute noch dran. "Wir möchten die Menschen am nächsten Tag wieder nach Hause bringen. Daher operieren wir beide Augen gleichzeitig", erklärt er. Fast unmittelbar danach geht es in den einfachen Operationssaal.

Das erste Auge ist operiert und die künstliche Linse eingesetzt, da wird Alberto unruhig und Doktor Fitsum muss abbrechen. Doch Sampaio gibt nicht auf. Er redet eindringlich mit Alberto – wenn er sein zweites Auge nicht jetzt operieren lässt, muss er einen Tag länger bleiben oder gar nochmals die lange Reise antreten. Und er hat Erfolg. Alberto entschließt sich, auf den Operationstisch zurückzukehren. "Die gemeinsame Sprache schafft Vertrauen", strahlt Sampaiao.

Erfolgssystem: von Activistas bis zum Outreach

Insgesamt zehn Outreaches sind in diesem Jahr geplant, zwei in Caia, der Rest in fünf weiteren Orten der Provinz Sofala. Davor leisten die lokalen Mitarbeiter ganze Arbeit. Sogenannte Activistas gehen von Dorf zu Dorf, kontaktieren die Dorfältesten und untersuchen die Menschen. Sie sind Teil einer Brigada, eines Teams von Gesundheitsexperten, das sich neben Augengesundheit auch um Ernährung, Zähne, Impfungen, Mutter-Kind-Untersuchungen und HIV-Tests kümmert.

"Das klinische Team in Beira besteht aus vier Augenärzten, drei davon sind von der Regierung angestellt, der vierte ist ein Mitarbeiter von "Licht für die Welt" – das ist Doktor Fitsum. Er fungiert auch als Berater für die Weiterentwicklung unserer Programme", erklärt Programmleiter Klaus Minihuber. Seit zwölf Jahren werden Strukturen aufgebaut, sukzessive sollen diese von der Regierung übernommen und ins Gesundheitssystem integriert werden. "Das Besondere an dem System ist, dass es tief in die lokalen Strukturen hineinwirkt. So erreichen wir die weit verstreuten Siedlungen", sagt Klaus Minihuber.

So kam auch Alberto zu seiner Operation. Als er erblindete, ging er zuerst zu einem traditionellen Heiler. Dieser sagte ihm, das sei seine Strafe, weil er nicht genug von seiner Ernte an die Familie abgegeben hätte. Aberglauben ist weit verbreitet. Später erzählte ihm ein Dorfältester von der Möglichkeit einer Operation, genau diese Aufklärungsarbeit liegt in den Händen der Activistas.

Schluss mit der Dunkelheit

Alle operierten Patienten übernachten im Spital von Caia. Früh am nächsten Tag werden ihnen die Augenbinden abgenommen und der Arzt ist zufrieden: "Alle Operationen vom Vortag sind gut verlaufen. Ich bin wirklich glücklich." Er verbreitet so viel unermüdliche Energie – man hat das Gefühl, er krempelt sich ständig die Ärmel auf für die nächste Operation. Die frisch operierten Frauen und Männer erhalten ein Fläschchen mit Flüssigkeit: Eine Woche lang müssen sie die Augen eintropfen, zur Vorbeugung gegen Infektionen.

Fitsum kommt zu Alberto, der aufrecht und ruhig sitzt, seine Miene verrät keine Emotion. Das erste Auge ist frei und wie ein Sonnenaufgang beginnt Albertos Gesicht zu strahlen: "Ich kann sehen!" Das zweite Auge wird befreit und der Arzt überprüft das Sehvermögen, ob Alberto Farben und die Anzahl der Finger unterscheiden kann.

Alberto steht auf und greift dabei automatisch nach der Hand von Sampaio. Doch da wird es ihm bewusst, und nochmals beginnt er zu lachen: "Ich kann wieder allein gehen." Sampaio fragt ihn, was er am liebsten sehen möchte. "Alles", sagt Alberto. "Das Spital, die Autos, die Straßen. Es hat sich so viel geändert, das will ich jetzt alles sehen." Ganz selbstbewusst steht er da, lacht und gestikuliert mit den Armen – plötzlich ist so viel Leben in ihm. Er wirkt viel größer, präsenter als noch am Tag davor.

Alberto will künftig als gutes Beispiel andere motivieren, sich ebenfalls operieren zu lassen, denn er kennt viele blinde Menschen. Immer wieder bedankt er sich bei allen, die ermöglicht haben, dass er wieder sieht. Er blickt in unsere Runde und fragt: "Seid wirklich ihr das gewesen, ihr habt mich abgeholt?" Dann bittet er Sampaio, auch den Fahrer des Jeeps zu holen. Alberto schüttelt diesem lange die Hand und sagt in seiner Sprache Sena Danke: "Takuta. Ich bin so froh, dass du mich zum Spital geführt hast." (Michaela Ortis, 27.10.2015)