Eine Frau in einer abweisenden Stadt: In Sina Ataeian Denas "Ma dar Behesht" kämpft sich eine junge Lehrerin durch den Alltag in Teheran.

Foto: Viennale

Dass es in diesem Film um Fragen und entsprechende Antworten geht, weiß man, bevor man ein erstes Bild zu sehen bekommen hat. Zwei Frauen unterhalten sich über Kleiderordnung, über die Einhaltung der Hidschab-Vorschriften sowie über die Vorbildwirkung für die Jugend. Bei dem Gespräch handelt es sich jedoch, wie sich schnell herausstellt, um eine Befragung im Zuge eines Bewerbungsgesprächs. Die 24-jährige Lehrerin Hanieh (Dorna Dibaj) bekommt die Stelle nicht, weil sie ganz offensichtlich privat den Vorschriften nicht Folge leistet. Ihre berufliche Qualifikation spielt keine Rolle. Dafür solle sie, wie ihr die Stimme der älteren Frau mit auf den Weg gibt, vorsichtig sein.

Der Film Paradise (Ma dar Behesht) des Iraners Sina Ataeian Dena erzählt im Grunde keine Geschichte, sondern funktioniert als Aneinanderreihung solcher Momente und Situationen, die den Alltag Haniehs bestimmen. Langsam zeichnet sich dabei ein persönlicher Hintergrund ab, der die Bestrebungen der jungen Frau kenntlich macht: Nach dem Unfalltod ihrer Eltern muss Hanieh sich um ihre Schwester kümmern, doch jeden Morgen eine weite Strecke zu ihrer Schule in einem Vorort antreten – ihr Kampf mit der Bürokratie um eine Versetzung nach Teheran wird bis zum Schluss ein bestimmendes Motiv des Films bleiben.

So wie Paradise überhaupt von der zermürbenden Auseinandersetzung mit systemischer Gewalt und Unterdrückung erzählt: Amtsräume und Schulgebäude sind der verlängerte Arm von Religion und Staat, denen sich Hanieh durch innere Emigration entzieht. Wie eine Schlafwandlerin gehorcht sie der Obrigkeit, während sie in Augenblicken heimlicher Freiheit zum Leben erwacht.

Grenzüberschreitungen

Das Erstaunliche an diesem Film ist jedoch weniger seine Systemkritik, die in manchen iranischen Filmen schon schärfer formuliert wurde, sondern Haniehs undurchschaubare Widerborstigkeit als Frau. Während sie auf der einen Seite gezwungen ist, im Klassenzimmer die alltäglichen Repressionen an ihre Schülerinnen weiterzugeben, merkt man ihrem Blick – geschärft durch eine große, kreisrunde Brille – an, dass sie sich ausschließlich als Vollzugsperson betrachtet.

Paradise wirkt zunächst nicht wie einer jener Filme, die an der Zensur vorbei außer Landes gebracht und schon deshalb auf westlichen Festivals honoriert werden. Sina Ataeian Dena, geboren 1983, realisierte seinen ersten Langfilm mithilfe von Jafar Panahis Bruder Yousef und deutschen Koproduzenten, nachdem er zuvor Werbe- und Animationsfilme drehte. Erst im Abspann wird darauf hingewiesen, dass Paradise ohne Erlaubnis entstanden sei, ergänzt durch eine Entschuldigung bei all jenen, die ohne ihr Wissen in diesem Film vorkämen.

Doch das Wesentliche an Paradise ist nicht sein Zustandekommen, sondern seine Ästhetik, die dieser Entstehung vermutlich geschuldet sind. Erst das Einbetten von Spielszenen in dokumentarische Alltagsaufnahmen verleiht diesem Film seine Kraft. Jeder Akt der Befreiung, und sei es das Lackieren der Fingernägel oder das verbotene Fußballspiel auf dem Schulhof, beruht auf dem Überschreiten der Grenze zwischen Fakt und Fiktion.

Nicht nur darin wirkt Paradise wie der Gegenentwurf zu Ana Lily Amirpours Vampirfilm A Girl Walks Home Alone at Night: Auch die Einsamkeit Haniehs lässt sich nicht an nächtlichen Streifzügen durch die Stadt ermessen. (Michael Pekler, 24.10.2015)