Wien – "Er gibt dem Ganzen auch noch Sinn", so die New York Times über Nikolai Lugansky. Diesmal überraschte der Russe im Konzerthaus durch ein Programm mit im Schnitt weniger Tönen pro Zeiteinheit als früher, da sich längst bestätigt hatte, dass er kein Blender ist. Vielmehr jemand, der Gestaltung auf allen Spielebenen ernst nimmt. Sehr ausgefallen, aber seriös: Es gab Stücke, in denen Bearbeitungen oder Klangvorstellungen aus größeren Besetzungen eine Rolle spielen.

Schon beim Orgelstück Prélude, fugue et variation in der Klavierfassung von Harold Bauer erwies sich Lugansky als Meister der atmosphärischen und klanglichen Verdichtung: mit einem fast orgelhaften Sound, gespannten Kantilenen und – bei aller Fülle – geradezu linearer Klarheit. Betont nüchtern ging er bei Schuberts Imprompus D 935 zu Werke, gedrosselt im Tempo, mit scharfen Akzentuierungen, mit denen er eher eine karge und herbe Seite des Zyklus hervorkehrte.

Tschaikowskys monumentale Sonate G-Dur op. 37 wurde dann zum Kernstück des Abends. Das mitunter problematische Werk musste man schon deshalb ernst nehmen, da der Pianist mit phänomenaler Wucht und wohldosierter orchestraler Wirkung agierte. Nach dem offiziellen Programm schien er noch mehr in Spiellaune zu kommen, bot auch mit Etüden von Nikolai Kapustin doch noch Allervirtuosestes – mit der charakteristischen Mischung aus Leichtigkeit und Durchdringung. Ob er auch ein Zeichen setzen wollte, dass er Stücke eines Ukrainers an den Schluss setzte? Auch das ergäbe noch Sinn. (daen, 28.10.2015)