Bauen und Sanieren kostet – dank vieler Normen mehr als nötig.

Foto: Matthias Cremer

Wien – Wer rechtzeitig vor dem Winter sein Haus dämmt, um dem Klima und seinem Geldbörsel Gutes zu tun, bekommt es mit ÖNORM B 6400 zu tun. Sie regelt hierzulande die Zahl der Dübel, mit deren Hilfe bei der thermischen Sanierung das Isoliermaterial an den Wänden fixiert wird. ÖNORM B 6400 ist eine von vielen nationalen Normen, die hierzulande regeln, wie wir bauen.

Die Schweizer kommen im Baubereich mit 200 nationalen Normen aus: "So viel wie nötig, so wenig wie möglich", beschreibt Adrian Altenburger, Vizepräsident des Schweizer Ingenieur- und Architektenvereins, das Prinzip dahinter. Hierzulande wird über die Zahl gestritten: 230 Normen zählt das Austria Standards Institute (ASI), auf 350 kommt die Architektenkammer.

Auf jeden Fall zu viel, findet Letztere. 6000 an der Zahl kämen zusammen, wenn man alle baurelevanten Regeln – eine solche schreibt etwa die Gangbreite im Wohnbau vor, damit ein Krankenbett durchpasst – zusammennimmt. Das ASI hält dagegen, dass in dieser Zahl unter anderem auch DIN-Normen oder zurückgezogene Normen enthalten seien. Tatsächlich käme man – auch wenn man den Baubereich besonders weit fasse auf weniger als 3000. Die Architektenkammer beklagt jedenfalls "Wildwuchs", der das Bauen teurer mache – um zehn bis 15 Prozent. Vom Kunststoffbelag für Sportanlagen im Freien bis zu nichttragenden Innenwänden – die Norm ist die Norm. Selbst für das Vertrags- und Gewährleistungswesen gibt es festgelegte Regeln. Mittlerweile ist ein Großteil der neuen Normen europäischen und internationalen Ursprungs, die das heimische Regelwerk verdrängen. Die Zahl wächst und wächst – seit 15 Jahren hat sie sich verdoppelt.

Kurswechsel erwünscht

Christian Aulinger, Architekt und Standesvertreter in der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten, wünscht sich dementsprechend einen radikalen Paradigmenwechsel. Derzeit werden – wie vom STANDARD berichtet – die Reaktionen auf das im Sommer vom Wirtschaftsministerium auf den Weg gebrachte neue Normengesetz eingearbeitet. Welche der von der Industrie, Fachverbänden, Sozialpartnern, Unis und dem Austrian Standards Institute (ASI) vorgeschlagenen Änderungen sich tatsächlich im neuen Normengesetz wiederfinden werden, will man im zuständigen Wirtschaftsministerium noch nicht sagen. Nur so viel: Man ist im Endspurt.

Aulinger kritisiert das heimische Normenwesen schon lange. Besonders, nachdem die Kammer ihre Experten aus dem Normierungsprozess zurückgezogen hat, weil es seit Anfang 2014 Geld kostet, an der Normung teilzunehmen. Auch technische Universitäten empfahlen ihren Wissenschaftern, nicht mehr mitzuarbeiten. Rund ein Drittel der externen Fachleute kündigte seine Mitarbeit auf. Mit dem neuen Gesetz soll der Mitarbeitsbeitrag in Höhe von 450 Euro pro Jahr fallen.

Von den Nachbarn abschauen

In der Schweiz gibt es einen solchen seit jeher nicht, sagt Altenburger. "Wir würden dann wohl keine Experten finden." Aulinger gefällt auch vieles andere, was er bei den Schweizern sieht. Die Österreicher täten gut daran, sich einiges von den Nachbarn abzuschauen, denn "hierzulande ist das Prinzip genau konträr, trotzdem ist die Schweiz baukulturell an der Spitze". Nicht nur die Zahl der Normen, auch die Organisation der Baunormung unterscheidet sich. Während in Österreich Baunormen wie der Großteil aller Normen im Rahmen des ASI erarbeitet werden, ist die Baunormung in der Schweiz dem Schweizer Ingenieur- und Architektenverein (SIA), einer der maßgeblichen schweizerischen Berufsorganisationen der Ingenieure, Architekten und Wissenschafter, zugeordnet. Anders als in Österreich müssen Normenprojekte einen Genehmigungsprozess durchlaufen. Mit einem Antrag wird ein Budget eingereicht. Sind die Projektkosten nicht durch den Normenverkauf gedeckt, müssen Drittmittel gesucht werden. Womit laut Altenburger klar ist: "Gibt es kein Bedürfnis, gibt es keine Norm."

Auch hinsichtlich Transparenz und Kontrolle halten die Wiener das Schweizer System für vorbildhaft: Die Namen von Mitarbeitenden in einer Normenkommission werden ausnahmslos veröffentlicht. In Österreich kann man die Zustimmung verweigern. Aus datenschutzrechtlichen Gründen, wie es aus dem ASI heißt. Ein wesentlicher Punkt, den Aulinger im Gesetzesentwurf vermisst: "Eine wirkungspolitische Normenfolgenabschätzung würde unsinnige Normen im Keim ersticken."

Nicht unmöglich, dass der Dämmstoff schon mit fünf Dübel je Quadratmeter gesichert wäre. ÖNORM B 6400 verlangt sechs. Geschätzte Kosten für eine Stadt wie Wien: über eine Million Euro. (Regina Bruckner, 30.10.2015)


Anm der Redaktion.: Der Artikel wurde um eine Stellungnahme des ASI ergänzt, die sich auf die Zahl der 6.000 baurelevanten Regeln bezieht und auf die Veröffentlichung der Namen der an der Normierung beteiligten.