Mit allen Sinnen zu sehen, lehrt Ronnie Niedermeyers fotografischer Essay über Marrakesch. Eine melodiöse Rhapsodie in Rot, Schicht um Schicht monochrom.

Aufschlagseite aus Niedermeyers "Farbe in in Marrakesch", fotografiert von Lukas Friesenbichler.

Um der Ehrlichkeit willen reduziert auf das Wesentliche, präsentiert uns Ronnie Niedermeyer Farben in Marrakesch. Schier endlos scheinen die Schattierungen an Rot- und Rosttönen, der Nuancen an Wärme, Licht, an Strahlkraft und Atmosphäre zu sein. Entgegen üblichen Usancen zeigt das Städteporträt des 1980 in Wien geborenen Fotokünstlers die pulsierende, antike Berbermetropole als Konglomerat globaler Neugierde, transkontinentaler Verschmelzung, spiritueller Zusammenfügung und, trotz des geschäftigen Treibens, als Refugium der Stille. Voller Erhabenheit und majestätischer Grandezza.

Niedermeyer verzichtet bewusst auf normativ Pittoreskes wie Märkte, Getümmel, Händler und Teppiche in der Medina. Anstelle beliebiger Buntheit besteht Niedermeyers wunderbare Monografie über die Perle des marokkanischen Königreiches ausschließlich aus rot getünchten Fassaden. Teils strahlend, teils verwittert, mit Graffitis, Fresken oder Wandmalerei versehen. Der Charme desolée der roten Stadt mit dem Gewirr aus Gerüchen und Stimmen wird perfekt in der Komposition des Buches reflektiert: Arrangiert als Destillat der Berberkunst, grafisch geadelt mittels mäandernder Muster eines originär indigenen Riads, mit Texten in sechs Sprachen, veredelt mit einem handgehäkelten Lesebändchen.

André Heller, der selbst seit einiger Zeit am Fuße des Atlasgebirges sein Herzensprojekt eines idealen Parks verwirklicht, beschreibt Marrakesch, der kollektiven Einschätzung zuwider, als "Angebot kathartischer Selbstfindung mitten im gewaltigen Labyrinth der Ablenkungen, Versuchungen, Betäubungen und Aufpeitschungen." Im Gegensatz zur global grassierenden hysterischen Bilderflut erzielt Niedermeyers ästhetischer Essay Wirkung: melancholisch, ruhig, kontemplativ. (Gregor Auenhammer, Album 6.11.2015)