EIne Löwin hat einen jungen Büffel gerissen. Solange es genug wildlebende Beute gibt, wird sie nicht auf Nutztiere umsteigen.

Foto: Matthias Waltert

Göttingen – Während in den europäischen Staaten, die auf ihren Gebieten sämtliche großen Raubtiere ausgerottet haben, schon das Wiederauftauchen des Wolfs wilde Debatten auslösen kann, lebt man in anderen Ländern mit ganz anderen Kalibern in der Nachbarschaft: mit Löwen, Tigern oder Leoparden. Auch diese reißen mitunter Haus- und Nutztiere. Deutsche Forscher haben nun untersucht, warum und wann genau sie dies tun, wie die Universität Göttingen berichtet.

Die Ausgangslage

Naturschutzbiologen der Uni Göttingen sind von der verbreiteten These ausgegangen, dass Großkatzen primär dann Nutztiere wie etwa Rinder reißen, wenn ihnen zu wenig wildlebende Beute zur Verfügung steht. Denn Nutztiere sind zwar in der Regel weniger mobil oder wehrhaft als ihre wildlebende Verwandtschaft. Andererseits hält sich in deren Nähe meist der Mensch auf, den die Großkatzen als potenzielle Gefahr eher meiden.

Allerdings wollte es das Team um Studienleiter Igor Khorozyan vom Johann-Friedrich-Blumenbach Institut für Zoologie und Anthropologie genauer wissen. In der Fachzeitschrift "Biological Conservation" legten die Forscher ihre Berechnungen vor, ab welcher Beutetierdichte und welchem Beutegesamtgewicht Großkatzen auf Nutztiere wechseln.

Konkrete Zahlen

"Wir haben einen globalen Datensatz zu Mensch-Raubkatzen-Konflikten analysiert und kartiert und eine erhöhte Wahrscheinlichkeit von Raubkatzen-Rissen an Rindern gefunden, wenn das Gesamtgewicht wilder Beute einen Wert von etwa 812 Kilogramm pro Quadratkilometer unterschritt", sagt Khorozyan. "Wenn wilde Beute noch stärker zurückgeht und 540 Kilogramm pro Quadratkilometer unterschreitet, beginnen Großkatzen damit, auch Schafe und Ziegen zu reißen. Uns verblüffte jedoch, dass diese Regel generalisierbar erscheint, das heißt, auf alle Großkatzen-Arten gleichermaßen zutrifft – ohne Bezug zu Körpergröße, Populationsdichte oder Größe von Schutzgebieten."

Umgekehrt scheinen Anzahl und Gewicht der Nutztiere für die Großkatzen keine Rolle zu spielen – riesige Rinderbestände locken sie also nicht zwangsläufiger an als kleine Herden. "Das ist so, weil Großkatzen Nutztiere dann reißen, wenn sie leicht zu erbeuten sind, zum Beispiel in dichter Vegetation oder während der Abwesenheit von Schäfern, aber nicht, wenn Nutztierherden größer sind", sagt der Koordinator des Forscherteams, Matthias Waltert. Daraus folgt, dass es nichts bringt, lokale Bevölkerungen davon zu überzeugen, weniger Rinder zu halten und stattdessen stärker auf Ackerbau zu setzen.

Nur wenige konfliktfreie Regionen

Das von den Forschern entwickelte Modell ermöglicht es, potenzielle Konflikte anhand existierender Beutetier-Biomasse-Angaben vorherzusagen. Eine wenig erfreuliche Folgerung daraus ist leider der Befund, dass nur einige wenige gut geschützte Gebiete in Indien, dem Tiefland von Nepal und in Südafrika ausreichend wilde Beute besitzen, um Großkatzen davon abzuhalten, Nutztiere zu erbeuten. Die Mensch-Raubkatzenkonflikte werden also weitergehen. (red, 8. 11. 2015)