Die traditionellen Volksparteien in Europa – also Sozialdemokraten von SPÖ, SPD oder Labour, Christdemokraten von ÖVP, CDU/CSU oder UMP in Frankreich, die sich jetzt Republikaner nennen – haben nicht einfach nur das zunehmende Problem, breitere Wählerschichten an sich zu binden.

Diese "Großparteien", die jahrzehntelang als staatstragende Ideengemeinschaften die Regierungen in Europa dominierten und für stabile Mehrheits- und Machtverhältnisse sorgten, stehen vor einer echten Überlebensfrage.

Das sind die Ergebnisse einer spektakulären globalen Studie, die ein vom europäischen Thinktank FEPS beauftragtes Forscherteam über die "Generation Millennium" und ihr Verhältnis zum politischen Leben, über ihre Erwartungen an Politik und Parteien zutage gefördert hat. Damit wird die Altersgruppe von 15 bis 34 Jahren zusammengefasst. Die Jüngsten sind also im Jahr 2000 geboren worden, als die Welt durch Volldigitalisierung aller Lebensbereiche, 9/11, Terror und Kriege im Mittleren Osten, durch Wirtschafts- und Jobkrise, durch Globalisierung aus den Fugen geriet.

Die Trends sind eindeutig: Die Traditionsparteien haben die Jungen beinahe schon verloren. Zwischen den Exponenten der etablierten Politik und den jüngeren Bürgern klafft eine riesige Vertrauens- und Kommunikationslücke.

Was das bei Wahlen zum Beispiel in Österreich bedeuten würde, haben die Millenniumsforscher so beschrieben: In den Rohdaten käme die FPÖ derzeit auf 19 Prozent Stimmenanteil, knapp gefolgt von den Grünen mit 17 und den Neos mit zehn. SPÖ mit ebenfalls zehn Prozent und die ÖVP mit acht hätten gemeinsam nur so viel Stimmen wie die beiden Oppositionsparteien. Auch wenn ein Drittel der Befragten unentschlossen oder Antwortverweigerer war, lässt sich das als Trend für ein Wahlergebnis hochrechnen: FPÖ 29, Grüne 26, Neos 16 Prozent. SPÖ und ÖVP auf Platz vier und fünf.

Was passiert in der jungen Generation, was solche tektonischen Verwerfungen erklärt? Es sei interessant, dass die im Vergleich zu früheren Generationen sehr gut ausgebildeten Jungen nicht prinzipiell an Politik uninteressiert seien, erklären die Studienleiter. Allerdings gingen die traditionellen Formen der Parteipolitik völlig an ihnen vorbei. Es sei so, als hätten Eltern den Kontakt zu ihren dynamisch sich entwickelnden Kindern verloren. Sie sind der Meinung, dass Politik sich viel zu sehr um "die Alten" (etwa den Erhalt der Pensionen) kümmert, nicht aber um ihre Themen: Ausbildung, Forschung, Job, Zukunftsaussichten.

Oder: Die Generation Millennium lebt, studiert und arbeitet heute weitgehend in der Welt des Internets und von Social Media. Nicht nur das mag ein Grund dafür sein, warum FPÖ und Grüne so gut ankommen.

Ein weiteres Ergebnis: Die jungen Wähler wollen Klarheit, einfache Antworten, fühlen sich von den "Mächtigen" oft hintergangen. Sie wollen "direkte Ansprache". Die Krise der Politik geht also tief. Sie manifestiert sich in zunehmender Polarisierung, auch im Aufkommen von populistischen Bewegungen (rechts wie links).

Aber ob es einem passt oder nicht: Nur wer damit umgehen kann, kann politisch erfolgreich sein, sagt die Studie. Das bedeutet in den Traditionsparteien: Sie müssten Revolten wagen, um Zukunft zu haben. Sonst droht die Marginalisierung.

(Thomas Mayer, 6.11.2015)