Der Wirkstoff des Humors ist für Kirchmayr die schützende Distanz zu dem Belastenden, dem innerlich Umtreibenden, dem Entmutigenden und Entkräftenden, die er herstelle.

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"Wissen Sie", sagt Alfred Kirchmayr, "es sind meine ganz alltäglichen lebenspraktischen, vor allem aber auch therapeutischen Erfahrungen, die mich immer wieder in dieser Erkenntnis bestätigten: Der alltägliche Nervenkrieg im Berufsleben mit all seinem Aufwand an Kräften und Zeit ließe sich um einiges reduzieren, würde das Miteinanderumgehen dabei mit etwas mehr Humor betrieben. Der Leistungs- und Zeitdruck wäre dadurch erheblich leichter zu ertragen. Und auch ein weniger abgelenktes und dadurch effizienteres Arbeiten wäre möglich."

Kirchmayr, Psychoanalytiker und Lektor an der Sigmund-Freud-Uni, beschäftigt sich seit geraumer Zeit mit Humor. Dieser "ist sicher nicht das Allheilmittel für diese aufreibende Arbeitswelt, aber, wenn Humor akzeptiert wird, in seiner entspannenden Wirkung unübertroffen."

Vor Belastungen drücken

Worauf gründet Kirchmayr seine Überzeugung? Er verweist auf eine Bemerkung von Sigmund Freud: "Das Wesen des Humors besteht darin, dass man sich die Affekte erspart, zu denen die Situation Anlass gäbe, und sich mit einem Scherz über die Möglichkeit solcher Gefühlsäußerungen hinaussetzt."

"Sehen Sie", sagt er, "auf vieles wird innerlich und in der Folge davon dann auch äußerlich impulsiv heftig erregt reagiert. Das schürt die ohnehin vorhandene zwischenmenschliche Anspannung noch mehr." Und genau das verhindere die im Humor zutage tretende innere Distanz zu dem Äußeren. Sie nehme viel von dem alltäglichen Unmutspotenzial und mache das Zusammenleben und -arbeiten dadurch spürbar spannungsfreier.

Vom berühmten Rat

Im Grunde, sagt Kirchmayr, verberge sich hinter der Freud'schen Bemerkung eine bekannte, in der Eile und unter dem Druck des Alltagsgeschehens aber nicht beherzigte Erfahrungstatsache. Nämlich, dass man sich von all dem, was belastet, drückt und zu schaffen macht, innerlich erst einmal etwas lösen muss, um zu einer Problemlösung zu kommen. Der berühmte Rat, über das, was umtreibt, erst einmal eine Nacht zu schlafen, verberge sich dahinter. "Dieser innere Abstand zu dem Äußeren ist die Kraftquelle der Menschen, die augenscheinlich mit dem klarkommen, womit sie klarkommen müssen, ohne sich daran bis zum Ausbrennen wund zu reiben."

Hinter die Kulissen geschaut heißt das für Kirchmayr: "Sie sind engagiert, aber nicht verbissen! Kommt nämlich Humor in eine Situation, fördert das die Kunst des Drüberstehens und Schwierigkeiten aller Art lassen sich sachlich wie zwischenmenschlich mit erheblich weniger innerer Aufwallung und dadurch ganz einfach viel besonnener überwinden." Er fragt dann: "Was erleben wir denn tagtäglich? Dass die Verquickung von Mensch und Sache maßgeblich dafür verantwortlich ist, dass es so oft anstatt zum Miteinander zum Gegeneinander, anstatt zu Problemlösungen zu noch mehr Problemen kommt." Der Wirkstoff des Humors ist für Kirchmayr die schützende Distanz zu dem Belastenden, dem innerlich Umtreibenden, dem Entmutigenden und Entkräftenden, die er herstelle.

Das umgedrehte Fernrohr

Famos habe der Dichter Jean Paul (1763-1825) diese durch den Humor möglich werdende distanzierte und distanzierende Sichtweise bildhaft beschrieben, indem er den Humor mit einem Blick durch ein umgedrehtes Fernrohr verglich, wodurch es möglich werde, zu allem Distanz zu gewinnen. "Und das zeigt plötzlich ein anderes Maß der Dinge und hilft, einen Menschen innerlich wieder ins Lot zu bringen und ihn so dazu zu ermutigen, dem Leben ein 'Trotzdem!' entgegen zu schmettern, sich von Ängsten und Befürchtungen nicht ins Bockshorn jagen zu lassen, sich nicht unablässig vor irgendetwas zu fürchten oder sich in allem und jedem zu verbeißen", macht Kirchmayr Mut zum etwas humorvollerem Umgehen miteinander.

Der Psychotherapeut lässt die Kraft des Humors in allen Facetten schillern. Sie sei es, die dafür sorge, loslassen zu können und auch mal neun grade sein zu lassen. So wie das in Goethes lebensweiser Bemerkung anklinge: Wer die Augen offen hält, dem wird im Leben manches glücken, doch noch besser geht es dem, der versteht, eins zuzudrücken. Das führt ihn zu einem weiteren "außerordentlich wichtigen" Aspekt des Humors: der Selbstrelativierung.

Selbstdistanz zentral

Sich selbst aus einer gewissen Distanz sehen zu können, dass sei ein weiterer ganz zentraler entlastender Aspekt des Humors in den Reibungen und Spannungen des Berufslebens. Sorge der humorvolle Blick von außen auf sich selbst doch auch dafür, das eigene Denken, Handeln und Erleben nicht als den unantastbaren Heiligen Gral anzusehen.

Selbstdistanz trage "enorm viel dazu bei, den emotionalen Raum für ein weniger konfrontatives Miteinander zu schaffen und dadurch die heutige berufliche Belastung mit all ihren Ungereimtheiten abzumildern. Distanz zu sich selbst entkrampft das soziale Geschehen, fördert den auf die Sache bezogenen Umgang mit allem, womit der Alltag so zu konfrontieren beliebt."

Die Reihe der Kronzeugen

Kirchmayr kommt auf einen weiteren Kronzeugen für die Bedeutung des Humors zu sprechen, auf Viktor Frankl, den vom Schicksal schwergeprüften österreichische Neurologen und Psychiater (1905-1997) und Begründer der Logotherapie (abgeleitet vom griechischen logos=der Sinn).

Frankl sah im Humor eine Waffe der Seele im Kampf um ihre Selbsterhaltung, weil der Humor wie kaum sonst etwas im menschlichen Dasein geeignet sei, Distanz zur Situation zu schaffen und sich über die Situation zu stellen. Frankl beschreibt diese zu den Widrigkeiten des Lebens Abstand gebende geistige Aktivität des Humors als Trick: "Stellt der Wille zum Humor, der Versuch, die Dinge irgendwie in witziger Perspektive zu sehen, gleichsam einen Trick dar, dann handelt es sich jeweils um einen Trick so recht im Sinne einer Art Lebenskunst."

Es ist dieser Perspektivwechsel, den der humorvolle Blick möglich macht, in dem Kirchmayr den großen entlastenden Augenöffner im Leben sieht: "Wer mit Humor durch die unterschiedlichen Landschaften des Lebens geht, in denen sich jeder tagtäglich aufhält, und durch die Landschaften der Seele, durch die eigenen und durch fremde, der entdeckt neue Möglichkeiten der Wahrnehmung und Auffassung."

Und er ist überzeugt: "Sich aus dem Gefängnis eingeschliffener Sicht- und Verhaltensweisen zu befreien, die bis zur Zwanghaftigkeit einengenden persönlichen Fixierungen und Vorstellungen aller Art im Zwischenmenschlichen wie im Sachlichen zu überwinden, das lässt die anderen buchstäblich zu anderen werden."

Vulkane auf zwei Beinen

Natürlich verhindere auch die noch so humorvolle Weltsicht nicht, "dass diese anderen einem trotzdem auch mal fürchterlich auf Nerven gehen und an den eigenen Kräften zerren." Aber sie sorge doch dafür, darin etwas Menschliches, Allzumenschliches zu sehen und sich nicht in den dadurch ausgelösten Emotionen immer tiefer zu verrennen.

Und so gibt Kirchmayr zu bedenken: "Wer ständig als Vulkan auf zwei Beinen herumrennt, untergräbt seine Lebenskraft und damit die Fähigkeit zu zupackender Lebensbewältigung mehr als alles andere." (7.11.2015)