Die frühere Kolonialmacht ist bei weitem Irlands wichtigster Handelspartner. Ein EU-Austritt Großbritanniens würde die grüne Insel schwer treffen.

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Bei seinem Besuch in London an diesem Montag führt der irische Premierminister eine Reihe politischer Gespräche, nicht zuletzt über die Zukunft der britischen Provinz Nordirland. Den wichtigsten Termin aber hat Enda Kenny für das Jahrestreffen des britischen Industrieverbands CBI reserviert. Dort wird sich der konservative Politiker für den Verbleib Großbritanniens in der EU einsetzen. Denn ein Austritt der Briten hätte für den kleineren Nachbarn im Westen katastrophale Folgen, wie eine Studie des Dubliner Instituts Esri belegt: erhebliche Handelseinbußen, höhere Energiepreise, geringere Investitionen aus Übersee.

Die düsteren Vorhersagen treffen Irland an einer empfindlichen Stelle. Nach dem globalen Finanzcrash 2008 mussten die 4,6 Millionen Iren empfindliche Einbußen ihres Lebensstandards hinnehmen, hunderttausende emigrierten, die Arbeitslosigkeit erreichte mehr als 15 Prozent, die Regierung stand drei Jahre lang unter der Kuratel des Internationalen Währungsfonds, der EU und der Europäischen Zentralbank. Mittlerweile hat sich das Blatt gewendet. Das Finanzministerium erwartet für 2015 rund vier Prozent Wachstum. Die Erwerbslosenquote lag im Oktober bei 9,3 Prozent, die Zuversicht unter Konsumenten verzeichnet nach langen Jahren des Pessimismus wieder ansteigende Tendenz.

Wichtigster Handelspartner

Irlands wirtschaftliche Erholung liegt auch am robusten Wachstum auf der Nachbarinsel. Ein Brexit würde die britische Wirtschaft hart treffen und unmittelbare Auswirkungen auf Irland haben, prognostizieren die Wissenschafter des Wirtschaftsinstituts Esri. Immerhin bleibt die frühere Kolonialmacht bei weitem Irlands wichtigster Handelspartner. Im schlimmsten Fall würde der anglo-irische Handel um ein Fünftel schrumpfen, glaubt Esri-Projektleiter Edgar Morgenroth: "Ein britischer EU-Austritt läuft Irlands Interessen zuwider."

Das liegt auch an der Verflechtung des Energiemarkts, der die ganze Insel umfasst. Irland erhält 100 Prozent seines Gasbedarfs aus der britischen Nordsee; wäre Großbritannien nicht mehr EU-Mitglied, würden höhere Abgaben fällig. Die Wiedereinführung der beinahe verschwundenen Grenzkontrollen zwischen der Republik und Nordirland hätte negative politische und wirtschaftliche Konsequenzen. Nicht einmal den von manchen Optimisten erhofften Zuwachs an Auslandsinvestitionen hält Morgenroth für wahrscheinlich. "Das wäre nicht besonders signifikant", sagt der Ökonom, denn: "Traditionell profitieren größere Staaten mehr von Auslandsinvestitionen, weil ihre Märkte größer sind." Statt nach Großbritannien dürften Gelder deshalb nach Frankreich oder Deutschland fließen.

In Dublin herrscht hohe Nervosität über die britische Austrittsdebatte. Mit Blick auf ihre eigenen Referenden, die in der irischen Verfassung begründet sind, verweisen Politiker auf die Unwägbarkeit von Volksabstimmungen. Sowohl 2001 wie 2008 gingen Abstimmungen zunächst verloren, ehe spätere Voten doch Zustimmung für die EU-Verträge von Nizza und Lissabon erbrachten. (Sebastian Borger aus London, 9.11.2015)