Am Podium Von rechts nach links: Demetrios Papademetriou, Gudrun Harrer, Rainer Münz und Moderator Hartmut Fiedler (Leiter des Ressorts Außenpolitik bei Ö1).

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Während in Brüssel die EU-Innenminister bei einem Sondertreffen am Montag erneut die aktuellen Flüchtlingsbewegungen thematisierten, lud Außenminister Sebastian Kurz in Wien zu einem Strategiegespräch in kleiner Runde.

"Wir haben die Kontrolle verloren", erklärte Rainer Münz vom European Political Strategy Centre in Brüssel gleich zu Beginn der Diskussion, gab aber gleichzeitig zu bedenken, dass es sich zum Teil um eine "inszenierte Hilflosigkeit" handelt, die in manchen Ländern an der Tagesordnung steht. Mit Millionen Touristen und Fans einer Fußballweltmeisterschaft könnten nämlich die meisten Staaten problemlos umgehen, aber plötzlich "sind sie nicht in der Lage, ein paar tausend Menschen an der Grenze zu bewältigen".

Krisen in den Herkunftsländern beenden

Demetrios Papademetriou, Präsident des Migration Policy Institute in Washington, sprach von einem "kompletten Zusammenbruch des Systems" durch die Verweigerung, Flüchtlinge zu registrieren und diese nur durch das Land zu schicken. Papademetriou forderte vor insbesondere, mehr hinsichtlich der Krisen vor Ort zu unternehmen. "Die Herkunftsländer produzieren mehr und mehr Flüchtlinge – und es ist kein Ende in Sicht." Mit dem neuen diplomatischen Syrien-Prozess könnten "vielleicht in den nächsten 18 Monaten" konkrete Maßnahmen gesetzt werden.

Nahostexpertin Gudrun Harrer vom STANDARD mahnte jedoch zum Realismus: "Diese Menschen werden weiterhin kommen." In Syrien handle es sich nicht nur um einen einzigen, sondern einen äußerst vielschichtigen Konflikt. Es sei zudem Zeit einzusehen, dass "Intervention A nicht automatisch zu Resultat B führt".

Gleichzeitig kritisierte Harrer den Alarmismus in vielen EU-Staaten. Über die Türkei – wo sich fast zwei Millionen syrische Flüchtlinge aufhalten – würde niemand sagen, dass deshalb das "System in Gefahr" sei – "im Gegenteil, (Präsident Recep Tayyip) Erdoğan gewinnt damit Wahlen."

Vorbild Bosnien-Flüchtlinge

Einigkeit gab es am Podium darüber, dass die Asylverfahren beschleunigt werden müssten. "So früh wie möglich" sollten jene identifiziert werden, die kein Recht auf Asyl haben, und zurückgeschickt werden, verlangte Demetrios Papademetriou. "Es ergibt keinen Sinn, wenn Menschen jahrelang im Unklaren gelassen werden", fügte Rainer Münz hinzu.

Um Ressourcen zu sparen, plädierte Münz außerdem dafür, Schutzsuchenden aus Syrien – ähnlich wie bosnischen Flüchtlingen in den 1990er-Jahren – das Verfahren zu ersparen und gleich Asyl zu gewähren.

Konkrete Vorschläge zur Verbesserung der derzeitigen Situation gab es also einige, ob und wie die Politik sie umsetzen könnte, bleibt vorerst offen. "Europa ist der einzige Ort", fügte Papademetriou abschließend hinzu, "wo einfache Dinge kompliziert und komplizierte Dinge unmöglich sind." (Noura Maan, 10.11.2015)