Eine zierliche Frau schlendert mit nackten Füßen über die Tempelanlage – ein Drachenkind. Warum sie sich so nennt, wird sie noch erzählen. Sie heißt Nyan, trägt ein schwarzes Gewand mit langen Ärmeln und hat auf dem Kopf ein oranges Tuch zum Turban drapiert. Es ist der traditionelle Kopfschmuck ihrer Volksgruppe, der Pa'-O, die im Nordosten von Burma leben.

Nyan führt Besucher über das Pagodenfeld von Kakku – ein Ort, der ihrem Volk so heilig ist, dass bis vor wenigen Jahren Touristen die Anlage weder kannten noch betreten durften. Auch jetzt verirren sich kaum Ausländer hierher. "Zwanzig am Tag sind schon viel", sagt Nyan. "Im Durchschnitt kommen täglich zehn." Die meisten Menschen, die hier in bunte Tücher gehüllt auftauchen, sind Einheimische.

Die mehr als 2.000 Pagoden von Kakku dagegen werden noch relativ selten besucht.
Foto: Jenny Becker

Der Tourismus breitet sich in Burma erst seit der politischen Öffnung im Jahr 2010 spürbar aus. Nach den ersten freien Wahlen seit 25 Jahren vor weniger als einer Woche mit großen Gewinnen für die Partei von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi wird diese Öffnung vermutlich noch an Tempo zulegen. Viele Beobachter sehen Burma als den nächsten asiatischen "Tigerstaat" und prognostizieren dem Land starkes Wirtschaftswachstum.

Knoblauch und Weizen

Noch ist es dort allerdings möglich, grandiose Kulturstätten ohne Massentourismus zu erleben. Manche sagen, Burma sei wie Thailand vor 70 Jahren. Das pulsierende Land liegt gleich nebenan – und doch scheint eine ganze Welt dazwischen. In Burma trifft man oft auf neugierige und freundliche Menschen, viele suchen das Gespräch mit den Besuchern – Mönche, Taxifahrer, Jugendliche. Sie alle wollen wissen: Woran glaubt ihr? Welche Länder habt ihr besucht? Was schaut ihr euch an in Burma?

An diesem Nachmittag ist es die Tempelanlage von Kakku, rund 300 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Naypyidaw. Sie ist umgeben von grünen Feldern, auf denen die Pa'-O vor allem Knoblauch und Weizen anbauen.

Die Tempelfelder von Bagan sind für burmesische Verhältnisse touristisch gut erschlossen und mit dem E-Scooter oder im Ballon zu erkunden.
Foto: Jenny Becker

Drachenkind Nyan spaziert über die heißen Steinplatten und bestaunt die 2500 Pagoden, die sich wie helle Türme auf nur einem Quadratkilometer drängen. Ein Wald aus Stein. Jede Pagode sieht anders aus und ist von einem anderen Stifter erbaut, die Burmesen tun damit Gutes für ihr Karma. An den Spitzen hängen tausende Glöckchen, der Wind trägt ihren Klang wie ein Raunen über die Stätte.

"Der Legende nach stammen die Pa'-O von einer Drachenmutter ab, die sich mit einem Medizinmann aus den Bergen vermählt hat", erzählt Nyan. Der Drache legte zwei Eier, aus denen ein männlicher und ein weiblicher Nachwuchs schlüpften – aus ihnen entstand das Volk der Pa'-O. "Die Worte Pa und O bedeuten so viel wie ein aufgesprungenes Ei, dessen Schale man abhebt." Nyans Volk ist nur eine von rund 135 Ethnien in Burma, die meisten sind Buddhisten.

Alte Königsstadt

Rund sieben Autostunden westlich von Kakku liegt Bagan. Die vor fast 1000 Jahren gegründete Königsstadt ist vergleichbar mit Angkor Wat in Kambodscha und zählt zu den architektonischen Meisterleistungen Südostasiens. Bagan erstreckt sich über vierzig Quadratkilometer und besteht aus mehr als 2.200 Pagoden. Unmöglich, das alles zu Fuß zu erkunden.

Für Individualreisende gibt es dort seit kurzem die Möglichkeit, mit Strom betriebene Motorroller zu leihen. So ist man herrlich unabhängig von Reisegruppen oder Taxifahrern, einen Führerschein braucht man nicht. Umgerechnet rund sechs Euro kostet ein Tag mit dem E-Scooter, der so ruhig an den alten Pagoden vorbeisirrt, als würde er die Ruhe auf den Tempelfeldern nicht stören wollen.

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Heißluftballons über dem Dhammayangyi Tempel
Foto: APA/EPA/LYNN BO BO

In Burma sind Motorräder und Roller das Fortbewegungsmittel Nummer eins, ganze Familien fahren darauf. Normalerweise laut und benzinbetrieben, im historischen Bagan leise und mit Akkus. Auf der wendigen Maschine kann man nach Belieben auch die Sandwege zwischen den Tempeln befahren. Mit schlingernden Reifen und von Staubwolken begleitet, kommt Cowboy-Feeling auf.

200.000 in Bagan, zwei Millionen in Angkor Wat

1996 scheiterte das damalige Militärregime beim Versuch, das gesamte Areal von Bagan als Unesco-Welterbe adeln zu lassen. Ein Grund dafür war, dass viele Tempel nicht originalgetreu restauriert worden waren. Zuletzt verfolgte man daher die Strategie, nur einzelne Pagoden zu nominieren – darunter den Dhammayangyi-Tempel aus dem 12. Jahrhundert. Vom Unesco-Titel erhofft man sich mehr Touristen: Im Jahr 2013 kamen rund 200.000 Besucher nach Bagan, im kambodschanischen Angkor Wat waren es mehr als zwei Millionen.

In Bagan ist der Zauber einer jahrhundertealten Kultstätte noch fühlbar. Eine besondere Ruhe steigt vom Boden auf und vom Himmel herab. Mit dem E-Scooter stört man diese selbst dann nicht, wenn man bis direkt vor den nächsten Tempeleingang rollt. Wie lange man hier wohl noch einfach so vorfahren kann ohne Einschränkungen, Eintritt und Warteschlangen?

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Foto: AP/Khin Maung Win

In den Nischen der Tempelentrées bieten oft Sandbildmaler ihre Werke an. Bilder von Buddhas, Elefanten und Drachen sind auf weiße Stoffe gemalt, als Grundierung wird der glitzernde Sand des Irrawaddy-Flusses genutzt, der durch Bagan fließt. Ho Myo ist einer dieser Maler. Ein kleiner, drahtiger Mann, 33 Jahre alt und seit 23 Jahren fast jeden Tag in dieser Pagode.

Lächelnd erklärt er seine Technik beim Malen und entblößt dabei rot verfärbte Zähne. Die Männer kauen hier oft durchgehend Betelnüsse – wegen der anregenden Wirkung. Der rote Saft wird auf die Wege gespuckt und verleiht den staubigen Straßen in Burma vielerorts ein pinkgeflecktes Aussehen, erzählt Ho Myo im Schatten und hat dabei alle Ruhe der Welt. Es gibt keine Reisegruppe, die drängt, keinen Fahrer, der wartet. Stattdessen Zeit und Austausch.

Alle Dächer besetzt

Wenn die Abendsonne beginnt, ihr Licht über den roten Stein der Ebene von Bagan zu gießen, suchen sich alle einen guten Platz auf einer der Pagoden. Den Sonnenuntergang will sich hier niemand entgehen lassen, die begehbaren Tempeldächer sind schnell besetzt. Es ist einer der wenigen Momente, in denen man überhaupt merkt, dass es dort noch andere Touristen gibt. Der große Andrang auf den vorderen Tempeln lässt sich aber umgehen, indem man mit dem Elektroroller einfach weiterfährt und Ausschau nach einem freien Platz hält – die meisten Besucher kommen zu Fuß und daher nicht weit.

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Menschen versammeln sich auf der Shwesandaw Pagode, um auf den Sonnenaufgang zu warten.
Foto: REUTERS/Soe Zeya Tun

Von oben schweift der Blick über die Ebene: Ochsenherden ziehen vorbei, Dunst steigt auf, dann versinkt die Sonne gülden hinter entfernten Hügeln, begleitet vom Klicken der Fotoapparate. Rasch bricht über Bagan die Nacht herein. Doch Burma scheint aus einem langen Schlaf erwacht. (Jenny Becker, RONDO, 13.11.2015)