Die 43-jährige Helga Krismer ist seit Anfang 2014 Klubchefin der niederösterreichischen Grünen sowie Vizebürgermeisterin in Baden.

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Madeleine Petrovic war einst Nationalratsabgeordnete sowie auch Klubchefin der Bundesgrünen. Die heute 59-Jährige wechselte 2003 nach Niederösterreich und verfehlte 2014 das Ziel, EU-Abgeordnete zu werden.

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St. Pölten / Wien – Bei den niederösterreichischen Grünen geht am Sonntag ein Veränderungsprozess ins Finale: In Traiskirchen finden sich rund 120 Delegierte zum Landesparteikongress ein, bei dem sich Helga Krismer – als einzige Kandidatin – der Wahl zur neuen Landessprecherin und damit zur Landesparteichefin stellt. Die Funktion der Landessprecherin erfüllte seit dem Jahr 2003 Madeleine Petrovic, die bis Ende 2013 auch Klubchefin war. Hikmet Arslan stellt sich erneut der Wahl zum Landesgeschäftsführer und neu entschieden wird auch über den Landesvorstand, Landesausschuss und Kontrollausschuss. Madeleine Petrovic spricht im STANDARD-Interview über ihre künftige Rolle bei den Grünen, warum sie sich derzeit über Erwin Pröll "krumm und dumm" ärgert und was sie den Wiener Parteikollegen mitgibt.

STANDARD: Beim Landeskongress der niederösterreichischen Grünen am Sonntag in Traiskirchen werden Sie nicht mehr als Landessprecherin zur Wahl stehen. Ist für Sie nun Schluss mit der Landespolitik?

Petrovic: Nein. Ich werde das Landtagsmandat behalten und über den Jahreswechsel schauen, wie ich mich orientiere. Wir haben mit der Flüchtlingsthematik etwas, wo viele Grüne in den Gemeinden Unterstützung brauchen. Auch bei Umweltprojekten kann ich möglicherweise hilfreich sein: Da gibt es derzeit bei vielem in Ostösterreich einen Backlash. Bei Verfassungs- und Grundrechten habe ich auch nicht vor zu schweigen. Als Landessprecherin hat man immer auch die Funktion, ausgleichend zu sein. Das wird jetzt weniger notwendig sein.

STANDARD: Sie werden also angriffiger?

Petrovic: Ich muss mir jetzt weniger auf die Zunge beißen. Es war bisher so, dass Helga Krismer die angriffigen Themen abgedeckt hat und ich ausgleichend und vermittelnd agiert habe. Bis zu einem gewissen Grad wird sich das umdrehen.

STANDARD: In einem Interview sagten Sie vor kurzem, Ihre Nachfolgerin Helga Krismer sei nicht die "diplomatischste" Person, die Sie kennen. Wie wird sie ihre neue Rolle anlegen?

Petrovic: Das weiß sie bestimmt selbst. Sie ist eine sehr Tatkräftige. Ich glaube, bei ihr ist die Verbindung mit dem Vizebürgermeisteramt einer nicht unbedeutenden Stadt (Baden, Anm.) gut. Da sieht sie ganz konkret die Probleme, die sich auftun. Sie kann Entscheidungen treffen und ich stehe voll hinter ihr. Ich habe gewissermaßen die Rolle einer Libera: Ich kann mir die Themen aussuchen und dorthin gehen, wo ich sehe, dass der größte Bedarf ist.

STANDARD: Was war Ihr größter Erfolg in Niederösterreich?

Petrovic: Ich glaube, ich habe in etlichen Bereichen Fundamente gebaut oder deren Bau möglich gemacht, auf denen jetzt hoffentlich etwas Stabiles und Solides wachsen kann. Ich bin fast verlacht worden, weil ich immer wieder Fragen der Demokratiepolitik und der Geschäftsordnung aufgegriffen habe. Das sind Themen, mit denen ich nicht in einen Wahlkampf gehen kann, aber es sind die entscheidenden Fragen darüber, ob wir zu einer modernen Demokratie kommen in Niederösterreich. Mit der Ära Pröll ist dann die Zeit der absoluten Mehrheiten vorbei. Früher oder später werden wir auch in Niederösterreich den Regierungsanspruch stellen.

STANDARD: Die niederösterreichische ÖVP hat vor kurzem verkündet, dass Niederösterreich nun den Strombedarf zu 100 Prozent aus erneuerbarer Energie abdeckt. Wird den Grünen in Niederösterreich von der ÖVP das Wasser abgegraben?

Petrovic: Je näher wir an eine Wahl kommen, desto grüner wird die ÖVP immer. Man wird aber erst sehen, ob es gelingt, das Kraftwerk Dürnrohr dann wirklich vom Netz zu nehmen. Dass Niederösterreich die Nachhaltigkeit noch nicht wirklich verinnerlicht hat, sieht man im Verkehrsbereich. Die Verkehrsplanung erfolgt immer noch aus der Perspektive der Windschutzscheibe des Dienstwagens. Ich glaube, dass sich viele in der niederösterreichischen Landesregierung nicht vorstellen können, dass es auch viele gut verdienende Leute gibt, die durchaus gerne mit den Öffis fahren.

STANDARD: Wie können die Grünen in Niederösterreich an Boden gewinnen?

Petrovic: Einerseits werden von außen die Karten neu gemischt. Angstthemen nützen meistens eher Law-and-Order-Parteien. Aber immer mehr Leute werden erkennen, dass die simplen Thesen, zum Beispiel mehr Mauern oder Zäune zu bauen, nichts nützen. Ich ärgere mich ja krumm und dumm über die Bundesregierung, aber auch über den Landeshauptmann, der sonst oft erkannt hat, was in der Sache wichtig wäre. Je schwieriger die Situation ist, desto mehr erwarte ich mir von denen, die das Staatsschiff lenken, dass sie Lösungen vorbereiten und alles tun, um die Unterstützung und das Durchhaltevermögen zu verbessern. Die Leute können wahnsinnig viel, wenn man sie dazu auffordert und bittet. Da kann man auch in die österreichische Geschichte schauen, etwa zur Ungarn-Krise. Derzeit heißt es aber täglich: Mit 100.000 (Flüchtlingen, Anm.) haben wir ein echtes Problem, da sind wir überladen und überfordert. In anderen Bereichen, wo wir auch Sorgen haben, zum Beispiel bei der Hypo, wird auch nicht dauernd betont, welche Probleme wir haben.

STANDARD: In der Vergangenheit fanden Sie oft wertschätzende Worte für Erwin Pröll. Gerade vorhin meinten Sie, Sie ärgern sich "krumm und dumm". Warum?

Petrovic: Pröll hat sich in der Vergangenheit immer wieder als Macher erwiesen, diese Qualitäten wären jetzt gefordert. Nicht, dass ich mir wünsche, dass er sich jetzt sein Image noch einmal aufpoliert – denn als erfolgreichen Bundespräsidentenkandidaten wünsche ich mir Alexander Van der Bellen. Aber die Leute, die sich bis nach Österreich durchgeschlagen haben, sollten wir auch bis zu einem gewissen Grad dem Land nutzbar machen. Wenn ich mir die Schulsituation – dass Schulen im Waldviertel wegen zu weniger Kinder zusperren – oder die Lage am Lehrlingsmarkt ansehe, dann denke ich mir, dass man das Notwendige durchaus auch mit dem Nützlichen verbinden kann. Alles Zögerliche, Zauderliche nützt den Parteien rechts außen.

STANDARD: Sie haben die Bundespräsidentenwahl angesprochen. Sehen Sie Pröll Richtung Hofburg aus der Landespolitik ausscheiden?

Petrovic: Pröll ist genau zehn Jahre älter als ich. Ich bin ein 1956-er Jahrgang. Wie auch immer Pröll sich entscheidet, die Frage der Nachfolge wird sich stellen. Wenn man nie Nachfolger oder Nachfolgerinnen aufbaut, hat man keine. Bisher ist das nicht passiert. Natürlich hat Niederösterreich bekannte Leute, etwa in Gestalt der Innenministerin. Der reine Sympathiejob ist das aber nicht, den sie da hat – wobei Sympathie allein auch kein Kriterium ist. Ob Pröll als Bundespräsident kandidiert oder nicht, es wird sich die Frage stellen, ob er 2018 (zur Landtagswahl, Anm.) noch einmal antritt oder nicht.

STANDARD: Wie wahrscheinlich ist eine Kandidatur Van der Bellens zur Bundespräsidentenwahl?

Petrovic: Ich würde mir eine solche sehr wünschen, aber ich wäre die Letzte, die ihn dazu drängt. Das ist eine hochpersönliche Entscheidung. Bei jeder anderen Wahl habe ich ein Team, eine Nummer zwei und drei. Als Bundespräsident zu kandidieren heißt, ich stehe voll und allein im Rampenlicht. Dass Van der Bellen sich das wohl überlegt, spricht für ihn.

STANDARD: Was geben Sie Ihren Wiener Kollegen für die Neuauflage von Rot-Grün mit?

Petrovic: Ich wünsche Ihnen, dass sie wieder Flaggschiffprojekte wie die Mariahilfer Straße durchbringen. Das verändert nicht gleich alles, aber es macht Gestaltung sichtbar. Daneben glaube ich, dass sich auch in Wien in Fragen der Demokratie und der Transparenz einiges tun muss: Zum Beispiel gehören die ausgegliederten Gesellschaften duchleuchtet. (Gudrun Springer, 13.11.2015)