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Schneller und langsamer als die Zukunft sein, die uns blüht: Kathrin Röggla.

Foto: dpa/Fredrik von Erichsen

Was wird Literatur? Nein! Was ist Literatur? Dies ist kein Statement zur Zukunft der Literatur. Mir ist die Zukunft der Literatur schnurzpiepegal. Es geht doch immer in diesen Zukunftsdebatten um Gegenwart. Denn die Gegenwart ist natürlich, wie man aus allen möglichen Realismusdebatten weiß, mit Zukunft und Vergangenheit aufgeladen.

Schuldverhältnisse sind das. Heute mehr in Hinblick auf die Zukunft. Denn das hat sich verschoben. Arbeitete sich jemand wie Heiner Müller an der nationalsozialistischen und stalinistischen Vergangenheit ab, arbeiten wir uns an der Zukunft ab, die ganz allgemein verwettet scheint, ins grobe Schuldverhältnis gebracht. Diese verwettete Zukunft steckt dann in der Gegenwart unserer Literatur, die gerne etwas mehr Zukunft hätte und ahnt, daraus wird wohl nichts.

Warum? Zum einen die gesellschaftlichen Verhältnisse. Zum anderen die Medienverhältnisse, die verändernden Wahrnehmungsgewohnheiten, hätte man früher ganz kulturpessimistisch gesagt. Früher, so vor zehn Jahren, hätte man aber auch noch darauf geantwortet: das Bloggen, das Internet, Twitter und E-Books. Lichtzeilen.

Anrufbeantworter. Überallhin hätte man die Literatur, d._h. Texte versetzt gesehen, damit sie noch ein wenig Zukunftslicht abbekommen – Slams, Poetry Corners, Spoken Word, hätte man weitergeredet, um etwas Legitimation fürs Gegenwärtige zu erhalten, denn darum ging es schon damals hauptsächlich. Literatur als irgendwie doch Praxis, die ankommt bei den Leuten und nicht als Restaurationsgeste erstarrt.

Guter alter Realismus

Heute scheint mir niemand mehr ernsthaft von der Zukunft der Literatur zu reden und schon gar nicht in Bezug auf Medienfragen (und wenn doch, dann möchte ich das hören – deswegen komme ich nach GRAZ!), umso mehr höre ich von Realismusdebatten, aber das ist das Theater, in dem es traditionell überhitzter zugeht, und das irgendwie lauter ist.

Und dieser Theaterdiskurs kann sich gerade nun mal auch nicht entscheiden, ein rein postdramatischer Diskurs zu sein oder ob von einer Rückkehr zum Text, dem neuen Realismus im Text, dem Postrealismus, dem Neoneorealismus oder Gegenrealismus auszugehen ist. Das erzeugt noch nicht unbedingt neue Auftrags lagen, aber vielleicht hilft es? Nur, ob das schon die Literatur der Zukunft sein könnte?

Was wird Literatur, was ist sie? Im Prinzip, das ist ja der Witz, versuchen die meisten Leute ja eigentlich nichts anderes, als möglichst gegenwärtig zu sein. Es irgendwie zu schaffen, in diese Gegenwart reinzukommen, die ihnen aus vielen Gründen: soziale, politische, rassistische, ideologische verbaut sind. Oder man lässt sie nicht. Man sagt ihnen, sie seien vorgestrig, oder übersieht gleich völlig, dass sie da sind, da draußen auf ihren Booten oder da drinnen in ihren Sozialbauten oder dort drüben in ihren Universitäten oder auch in den Reihenhäusern.

Das ist ein Problem, das sich zwar beschreiben lässt, aber nicht unbedingt verlesen lässt wie ein Statement, das in dieser Debatte weiterhilft. Ich gebe das gerne zu. Die Erfahrung mit solchen Statements sagt mir ohnehin, dass man diese rein persönlich anlegen muss (wenn man nicht in normativem Gemurkse landen will), was interessiert mich in den nächsten Jahren, wie stelle ich mir meine eigene Schreibpraxis vor? Und da stehe ich nun mal auf einer riesigen Baustelle, die nicht unbedingt der Berliner Flughafen ist, aber deren statische Probleme ich gerade dabei bin zu ermessen und hoffentlich bald einigermaßen vernünftig einschätzen kann.

Die Frage, was Literatur wird oder ist, ist ja stets mit der Frage verknüpft, welche Probleme man mit ihr und in ihr hat. Wo hapert’s, haut es nicht hin, wo stolpert man – sowohl in arbeitstechnischen, textimmanenten, medialen als auch öffentlichkeitstechnischen Fragen. Über dieses Stolpern lässt sich so manche Fragestellung ordnen, beispielsweise die Frage nach der Realität eines gesellschaftlichen Umbaus. Warum klappt etwas nicht in einem Text? Warum komme ich nicht weiter?

Was wirkt einfach falsch an dieser Stelle? (Da kann ich in GRAZ vielleicht mehr erzählen.) Und dann die ganz allgemeine Frage nach Produktionsverlusten, mit denen immer mehr zu rechnen ist in Zeiten von Amazon und Austeritätspolitik. Nur was soll’s: Text tritt ja insgesamt in den Hintergrund – vor kurzem führte ich in der Bonner Germanistik ein Gespräch über die Germanistik ohne literarischen Text bzw. ohne Lektüre – Textvernichtung als Uniprogramm!

Touristisierung des Betriebs

Gleichzeitig findet im Stadttheaterbetrieb so etwas wie eine Touristisierung des ohnehin schon festivalisierten Betriebs statt, englische Untertitel wandern auf alle Bühnen, Schauspieler werden nur dann gecastet, wenn sie fließend Englisch können. (Und Untertitel sind nicht unbedingt das, was literarisch etwas hergibt.)

Und dann: Schließlich gehen ja auch Zeitungen ein, weil die Leute in der Woche nicht mehr Zeit haben zu lesen, Gary Stheyngarts Dystopie Super Sad True Love Story scheint sich als treff liche Gegenwartsbeschreibung zu bewahrheiten, Sprache wird in Zeiten der postdemokratischen Repräsentationskrise ohnehin misstraut. Aber was hilft uns das? Dass Sie jetzt mit Gegenbeispielen kommen? Vielleicht.

Das wäre das alte Kegelspiel in der Matrix der ewigen kulturpessimistischen Rhetorik. Alle neune hat man dann immer irgendwann geschafft, und die Urheberrechtsdebatte war auch noch mit dabei (samt Alexander Kluges Idee vom konzentrischen Schreiben, dem kollektiven Schreib-Projekt einer Weltgeschichte als Antwort auf die Globalisierung und die um die Welt kreisenden Pensionsfonds).

Insofern schnell zurück zu meiner Baustelle: Zu kapieren, in welcher Gesellschaft man sich befindet, ist für mich eine der schriftstellerischen Grundfragestellungen (wenn man so will: ein Auftrag): Woher kommt die Ohrfeige, die man weitergibt? Und dann: Wie kann ich da einen gewissen Richtungswechsel diesbezüglich organisieren?

Signale aus dem All

Das ist sehr vage formuliert, ich gebe es zu. (Es wirkt auch vielleicht auf manche nicht wirklich zukunftsträchtig, weil sie zu wissen meinen, dass Kritik ja schon immer systemstabilisierend wirken soll – der neue Geist des Kapitalismus, auch schon über zehn Jahre alt.) Dennoch: Ich habe mir mit den Begriffen Postdemokratie und Finanzoligarchie/Finanzkapitalismus eine kleine Startlinie zurechtgelegt, von der aus wir gewisse Herrschaftsräume unserer Zeit zu verstehen scheinen, also die Produktion von Herrschaft ganz im foucaultschen und marxschen Erbe, grob gesprochen, aus mitteleuropäischer Perspektive.

Das ist sehr einfach, erzeugt aber einen Haufen vielleicht relevant zu nennender (von wem?) Probleme (Relevanz ist eine heikle, ja erschreckende Kategorie!), und kombiniert man diese mit der Frage nach Konstellations-, Informations-, Kontextfragen, Fragen nach Sprechräumen und Rhetoriken, Fragen nach medialen Tektoniken und Erzählperspektiven, hat man genug zu tun für ein ganzes Leben, immer noch.

Die Entscheidung für ein ge eignetes Medium sowie für die Veröffentlichungsform wird sich nicht selten am Stoff herausentwickeln, wenn die ganze Sache auch noch organisatorisch zu bewerkstelligen ist. Damit ist jetzt nicht die Literatur der Zukunft beschrieben (ich weiß! Ich habe ja gesagt, daraus wird nichts), und nein, ich gehe hier nicht davon aus, für alle AutorInnen zu sprechen. Früher hätte man gesagt: Das wäre auch eher ein Gewerkschaftsthema.

Eigentlich ist es doch ein wenig abwegig, an die Zukunft der Literatur zu denken, wenn die Menschen, die sie lesen könnten, keine mehr haben. Oder sprechen wir über Kassiber, Flaschenpost, Signale ins All, wie es vielleicht Alexander Kluge sehr metaphorisch tut?

Wie gesagt: Die Zeit läuft nicht mehr nach vorne. Man muss schneller und langsamer als die Zukunft sein, die uns andauernd blüht. (Kathrin Röggla, Album, 13.11.2015)