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John Kerry bemühte sich in der Rede vor den Syrien-Gesprächen, die US-Führungsrolle zu unterstreichen.

Foto: Reuters / Joshua Roberts

Wien – Die New York Times will schon eine neue diplomatische "Obsession" des US-Außenministers erkennen: Nach den (erfolglosen) Israel-Palästina-Verhandlungen und den (erfolgreichen) Iran-Atomgesprächen stürzt sich John Kerry nun also mit großer Energie in die Syrien-Diplomatie, deren Zentrum zurzeit Wien ist.

Die USA legen sich im Moment mächtig ins Zeug, um vergessen zu machen, dass nicht sie diesen Wiener Prozess losgetreten haben, sondern Russland durch sein direktes militärisches Eingreifen in Syrien an der Seite des Assad-Regimes. Auch in der programmatischen Rede, die er am Donnerstag in Washington im US Institute for Peace hielt, stellte Kerry Präsident Barack Obama als unbeirrbar im Führersitz der internationalen Syrien-Politik sitzend dar: Und es ist wohl ein kleiner Fall von Geschichtsfälschung, wenn Kerry die Idee alleine für die USA reklamiert, im Sommer 2013 nach einem Giftgasangriff auf Zivilisten Assad nicht militärisch anzugreifen, sondern ihn stattdessen zum Beitritt zur Chemiewaffenkonvention zu zwingen und ihm die C-Waffen abzunehmen. Auch das war ein russischer diplomatischer Coup.

Die größere Bedrohung

Aber in einem hat Kerry gewiss recht: Ein Militärschlag, der Assad nicht vernichtet hätte (und das hätte er nicht), wäre weniger wert gewesen als die Möglichkeit zu eliminieren, dass der "Islamische Staat" (IS) an die C-Waffen des syrischen Regimes kommt. So viel Kerry in seiner Rede auch auf die Verbrechen des Assad-Regimes einging, gleichzeitig wurde aus seinen Worten auch deutlich, dass aus der Sicht Washingtons für die USA vom IS eine größere Bedrohung ausgeht als von Assad.

Was noch lange nicht heißt, dass die USA Bashar al-Assad jemals gewinnen lassen wollten: Genau so entstand die frustrierende US-Politik der Eindämmung beider Seiten, die durch die russische Intervention nun ins Rutschen gekommen ist. Dazu gesellt sich die Einsicht, dass es nicht ewig so weitergehen kann, schon allein der Flüchtlingszahlen wegen.

Kerry ging in seiner Rede auf die vieldiskutierte Frage ein, wie der IS mit Assad zusammenhängt: Die syrische Opposition behauptet ja, solange es Assad gebe, werde auch der IS weiter florieren. Kerry unterstützte die These, dass der IS ein Produkt der Assad'schen Schreckensherrschaft sei. Dass die nahöstlichen Diktaturen Radikalismen erzeugt haben, wird niemand bestreiten, aber der Syrien-Spezialist Joshua Landis, Direktor des Nahostzentrums der Universität Oklahoma, pflegt darauf aufmerksam zu machen, dass sich Al-Kaida nicht unter Saddam Hussein, sondern erst nach dessen Sturz im Irak festsetzte: So könnte man theoretisch auch sagen, dass die USA im Irak bekämpft werden mussten, um Al-Kaida zu bekämpfen, sagte Landis in einem Interview im russischen Fernsehen. Aus der Al-Kaida im Irak, die sich 2004 etablierte, wurde 2006 der "Islamische Staat".

Kerry stellte die US-Strategie in Syrien auf drei Pfeilern ruhend vor: Kampf gegen den IS, Syrien-Diplomatie, Unterstützung der Verbündeten in der Region. Der Sturz Assads kam nicht vor, aber die Forderung nach dessen Verbleib wies der US-Außenminister einmal mehr als "unvernünftig" zurück. Als Voraussetzung für eine Syrien-Diplomatie nannte er die Fähigkeit, Druck auszuüben: Das heißt, Assad darf an der Schwächung des IS nicht gewinnen.

Der Wettlauf nach Raqqa

Das erklärt wiederum den immer sichtbareren amerikanisch-russischen Wettbewerb um die zukünftige Befreiung der syrischen IS-Hauptstadt Raqqa: Wenn die Russen – beziehungsweise die syrische Armee mit russischer Luftunterstützung – zuerst dort sein sollten, käme das der Verhandlungsposition Assads zugute. Die USA haben zuletzt ihre Angriffe auf die Ölanlagen, die sich in der Hand des IS befinden, verstärkt, um endlich diesen Geldhahn – laut NYT 40 Millionen US-Dollar pro Monat – abzustellen. Was aber zumindest erst einmal einen Teil der lokalen Bevölkerung, die dort ihr Brot verdient, dazu bringen wird, sich mit dem IS zu solidarisieren. (Gudrun Harrer, 14.11.2015)