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Französische Polizisten in Paris

Foto: APA/AFP/MIGUEL MEDINA

C’est une horreur, sagte François Hollande in einer ersten Stellungnahme an die Nation, aufgewühlt, aufgebracht. Die Blutnacht von Paris hinterlässt ein Gefühl von Angst und Schrecken. Die Terroristen wollen uns Angst und Schrecken einjagen, sagte der französische Präsident auch noch, aber Frankreich lasse sich nicht unterkriegen, diese Terroristen würden "neutralisiert". Es ist wohl prosaischer so, dass sie den ersten Abend eines Wochenendes auswählten, weil dann besonders viele junge Pariserinnen und Pariser unterwegs sind, um sich auf den Bistro-Terrassen zu entspannen oder einen kulturellen Abend in einer Konzerthalle zu genehmigen.

Daher das vorherrschende Grundgefühl in Paris: Es kann jeden, es kann jede treffen. Das ist das Verheerende, das Unfassbare, erschreckender noch als die furchtbaren Anschläge auf die "Charlie-Hebdo"-Redaktion und den jüdischen Supermarkt von Anfang des Jahres. Damals waren zwei spezielle Bevölkerungskategorien im Visier gewesen: Journalisten und Juden, beide auf ihre Art bedroht und auf der Hut, weil im Bewusstsein um Exponiertheit, beide geschützt durch Polizeiwachen vor der Redaktion und vor Synagogen.

Die "Charlie"-Journalisten passen auf, wenn sie ihre Redaktion nahe bei den jetzigen Attentatsorten verlassen; Juden lassen ihre Kippa zu Hause, wenn sie auf die Straße gehen. Jetzt hat es Menschen getroffen, die sich nicht besonders betroffen fühlten, beliebige Normalbürger, die mit dem Nahen Osten oder Mohammed-Karikaturen nichts am Hut haben und nichts anders wollen, als zum Wochenendauftakt ein Glas im trendigen Stadtviertel der 10. und 11. Bezirke zu trinken.

Jetzt wird nichts mehr sein wie vorher: Unbescholtene Pariser Bürger werden sich insgeheim überlegen, ob sie ab sofort vielleicht doch bewaffnet vor die Haustür treten sollen, um sich notfalls verteidigen zu können, um nicht einfach niedergeschossen zu werden. Etwas, was bisher in Frankreich undenkbar gewesen wäre. Paris wirkte am Samstag ruhig, gefasst, auch wenn Überlebende in die Mikrophone schluchzen, sie hätten doch nur ein Bier getrunken, dort, inmitten des Horrors, inmitten der Leichen. Es herrscht keine Hysterie, keine Panik, obwohl jetzt viele bestürzt fragen: Das ist ja wie im Krieg!

Dieses schwere Wort erhält nun plötzlich Sinn, viele Politiker benützen es, um den Kampf gegen den Terror zu bezeichnen. Es ist zutreffend und doch ungenau: In Wahrheit besteht längst Krieg, und jetzt kommt er zu uns, wie die Flüchtlinge, und zuerst nach Paris, in die Stadt der Lichter und der Liebe, die jetzt zur Stadt der Angst wird, im Herz eines riesigen Vorstadtgürtels, in dem Ermittler zahllose potenzielle Attentäter überwachen und vielleicht auch nicht überwachen. Was tun? Wie reagieren? Zuerst einmal: Sich besinnen, überlegen.

Zeugen der Anschläge hörten, dass die Attentäter "Es ist wegen Syrien" und "Rache für Irak" schrien. Schon daher wäre es nun das Falscheste, über einen Rückzug der französischen, amerikanischen oder anderen Flugzeuge oder Truppen aus Irak-Syrien zu debattieren. Gegenüber Terroristen gibt es kein Nachgeben. In Europa selbst muss die Polizeikontrolle vor allem von salafistischen und verwandten Milieus– ob man will oder nicht – noch verstärkt werden. Denn eigentlich ist es noch schlimmer als im Krieg: Jetzt ist der Feind unsichtbar. Er ist unter uns, er verbirgt sich unauffällig in der Masse. Das erschwert auch die Aufgabe, mögliche Täter zu überwachen, auszufiltern, sich von ihnen abgrenzen. Aber bevor man Terroristen fassen und "neutralisieren" kann, wie Hollande sagt, muss man sie isolieren. Alle müssen dazu beitragen, Polizei und Politiker, Betroffene und Unbetroffene, Christen, Juden und Muslime. (Stefan Brändle aus Paris, 13.11.2015)