Es kann überall und jederzeit passieren. Zum zweiten Mal in diesem Jahr sind in der französischen Hauptstadt Attentate verübt worden, aber diesmal in einer neuen, weitaus schrecklicheren Dimension: Zu Jahresbeginn waren bestimmte Gruppen im Visier – Journalisten und Juden. Die Attentate richteten sich gegen die freie Meinungsäußerung und Angehörige einer Glaubensgemeinschaft. Die jetzige Serie von Anschlägen hat gezeigt, es kann jede und jeden treffen, der in einem Restaurant oder Café sitzt, ein Konzert oder ein Fußballspiel besucht. Es geht um die Grundfesten der Demokratie und die freie Gesellschaft – zu der auch Vergnügungen aller Art gehören.

Diese Unmittelbarkeit, dass es jeden treffen kann, erklärt die große Betroffenheit. Dass in Frankreich und vielen anderen Ländern so viele Menschen auf die Straße gehen, ist ein wichtiges Zeichen der Solidarität und des Zusammenhaltens. Die Menschen in Paris ließen sich nicht von Sicherheitsmaßnahmen und dem Versammlungsverbot abschrecken, Blumen und Kerzen an die Orte der Attentate zu bringen. Es waren beeindruckende Gesten, sich nicht einschüchtern zu lassen. Wichtig ist auch, dass arabische Länder und Institutionen die Anschläge klar verurteilt haben.

Ganz andere Reaktionen

Es gab aber auch ganz andere Reaktionen, auch in Österreich: Forderungen nach Schließung der Grenzen, Einschränkung der Flüchtlingshilfe und mehr Überwachung. "Leider schränkt der notwendige Kampf gegen den Terror auch unsere Bürgerrechte ein. Wir müssen aber alles tun, um weitere Tote zu verhindern", twitterte ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka kurz nach den Attentaten in Paris. Er forderte die rasche Verabschiedung des Staatsschutzgesetzes, das selbst von Richtern und Staatsanwälten kritisiert wird, weil dadurch alle Bürger unter Generalverdacht gestellt werden.

Dass die ÖVP das Attentat benutzt, um Druck auf den Koalitionspartner zu machen, ist schäbig. Frankreich hat nach den Anschlägen auf "Charlie Hebdo" die Mittel für Geheimdienste aufgestockt und die Gesetzgebung zur stärkeren Überwachung der Bürger verschärft – und die neuen Anschläge trotzdem nicht verhindert.

Auswirkungen auf Flüchtlinge

Rechte Parteien – vom Front National über die AfD bis zur CSU und FPÖ – benutzen diese Anschläge für ihre politischen Forderungen wie Grenzschließungen. Auf die Debatte über Flüchtlinge haben die Attentate bereits Auswirkungen, sie werden unter Generalverdacht gestellt. Polen kündigte an, nun trotz EU-Einigung keine Flüchtlinge aufnehmen zu wollen. Am Sonntag ließ sich noch nicht klären, ob ein Pass, mit dem sich in Griechenland ein Flüchtling registrieren ließ, tatsächlich einem Attentäter gehört.

Auf der Facebook-Seite des Linzer Vizebürgermeisters Detlev Wimmer (FPÖ) stand acht Stunden lang ein User-Eintrag: "Es muss Befehle geben, wer die Linie ohne Genehmigung nach Prüfung übertritt wird erschossen." Flüchtlinge werden als potenzielle Terroristen betrachtet. Dabei sind viele der Flüchtlinge aus Syrien und Irak genau vor dem Terror des IS geflohen. Sie sind auch Opfer.

Norwegens Ministerpräsident Jens Stoltenberg sagte nach der Tötung von 77 Menschen durch Anders Breivik: "Unsere Antwort ist mehr Demokratie, mehr Offenheit und mehr Menschlichkeit." Ob die Attentäter ihre Ziele erreichen, hängt davon ab, ob wir uns einschüchtern und unsere Freiheiten nehmen lassen. (Alexandra Föderl-Schmid, 15.11.2015)