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Dieses Foto, von der französischen Armee veröffentlicht, zeigt einen Jet, der Luftangriffe auf Raqqa fliegt. Beim G20-Gipfel versammelten sich EU-Politiker zu einer Schweigeminute.

Foto: Reuters

Französische Kampfjets haben in der Nacht zum Montag Ziele des "Islamischen Staates" (IS) in und bei al-Raqqa in Syrien bombardiert. Aus der syrischen "IS-Hauptstadt" wurden mehrere Explosionen gemeldet, unter anderem dürfte ein Waffenlager getroffen worden sein. Die Berichtslage aus Raqqa ist jedoch dürftig und nicht abgesichert. Es gibt allerdings im Untergrund eine Aktivistengruppe namens "Raqqa is Being Slaughtered Silently", die auf dem Weg über soziale Medien Informationen liefert. Demnach seien militärische Ziele getroffen worden.

Auch die USA griffen den IS an: Im Rahmen ihrer neuen Offensive mit dem Ziel, die Einnahmequellen des IS zu zerstören, wurden in der Nähe von Deir al-Zor im Osten Syriens 118 Tanklaster bombardiert, berichtete die "New York Times". Seit Oktober fliegt die US-Luftwaffe Einsätze gegen ölproduzierende Anlagen gezielt so, dass sie möglichst schwer reparabel sind.

Raqqa – wo laut Aktivisten die Menschen "geschlachtet" werden, ohne dass es die Welt sonderlich interessiert – rückt langsam in den militärischen Mittelpunkt der US-geführten Luftkampagne. Schon lange wird spekuliert, dass die "Demokratischen Streitkräfte Syriens" (bestehend aus den Kurdenmilizen YPG, die arabische und eine christliche Miliz anführen), die im Norden einen Streifen Territoriums kontrollieren, bald mit Unterstützung aus der Luft einen Vorstoß auf Raqqa beginnen könnten.

Die Dynamik von 2013

Die Geschichte von Raqqa ist typisch für die Dynamik, die sich ab 2013 zwischen dem IS (damals Isis, siehe Hintergrund) und anderen Rebellengruppen abspielte. Die Stadt, die mit gut 200.000 Einwohnern 2004 als sechstgrößte Stadt Syriens gelistet war, wurde im März 2013 von einer Union unterschiedlicher Rebellengruppen eingenommen. Führend war damals die Nusra-Front, wie Isis zur Al-Kaida gehörend. Bereits im August 2013 setzte sich die bis dato eher unauffällig agierende Isis-Miliz fast handstreichartig durch: Sie nahm andere Rebellengruppen auch mit Morden und Attentaten ins Visier.

Nach der Ausschaltung der anderen setzte der "Islamische Staat" seine eigene Verwaltung ein, führte seine Version der Scharia ein – mit strengen religiösen Regeln für alle Bewohner, die von einer Religionspolizei durchgesetzt werden – und ging mit großer Härte gegen jeden Dissens vor. Alawiten wurden allein wegen ihrer Zugehörigkeit zu dieser gnostischen Sekte des Islam öffentlich hingerichtet.

Das ist aber nur eine Seite: Raqqa wurde auch zur Hauptstadt einer gelebten Utopie. Nicht nur Kämpfer zieht es dort hin. Man muss davon ausgehen, dass, wie in Mossul im Irak, ein Teil der Bevölkerung das IS-Regime zumindest akzeptiert. Raqqa hat funktionierende administrative Institutionen und Infrastruktur.

Die IS-Propagandisten, die ja seit 2014 auch eine eigene Zeitschrift, "Dabiq", herausgeben, locken radikalisierte jugendliche Sinnsucher aus aller Welt in ihren "islamischen Staat", der nach den authentischen Regeln aus der angeblich goldenen Zeit des Islam funktionieren soll. Die Propaganda richtet sich auch immer wieder gezielt an junge Frauen, die als Ehefrauen und Strukturerhalterinnen dienen müssen.

Dabiq ist ein Ort in Nordsyrien, wo sich nach einer Überlieferung die christliche und die islamische Armee im apokalyptischen Endkampf gegenüberstehen werden.

Bis dahin sind, geht es nach dem IS, wohl schon alle Schiiten ausgerottet: Raqqa hat eine gewisse schiitische Tradition, denn gleich zwei von der Schia hochverehrte Zeitgenossen des Propheten Mohammed sind dort begraben – beziehungsweise waren, denn ihre Schreine sind heute zerstört. Für die radikalsalafistischen IS-Jihadisten ist nicht nur ein schiitisches Grab, sondern überhaupt alles, was verehrt werden und vom Monotheismus ablenken könnte, zerstörenswürdig.

Religiöse Minderheiten

In Raqqa, das um 800 ein paar Jahre lang Residenzstadt des Abbasiden-Kalifen Harun al-Rashid war, lebten auch Christen, die heute vertrieben sind. Wie in Mossul zerstörte oder beschlagnahmte der IS christliche Gebäude. Als 2011 in Syrien Proteste gegen das Assad-Regime ausbrachen, blieb es in Raqqa lange relativ ruhig, noch 2012 besuchte Bashar al-Assad die Stadt. (Gudrun Harrer, 17.11.2015)