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Forschung soll ohne Hintergedanken auf ein neues Produkt gefördert werden, heißt es am ZSI. Soziale Innovationen wie Verkehrsschilder seien als eine Erweiterung des klassischen Innovationsbegriffs zu sehen.

Foto: dpa/Weihrauch

Wien – Um Innovation und sozialen Wandel zusammenzudenken, fehlt etwas, dachte sich Josef Hochgerner Ende der 1980er-Jahre und gründete daher das Zentrum für Soziale Innovation (ZSI) als "Missing Link". Diesen November feiert das Forschungsinstitut seinen 25. Geburtstag.

Das ZSI versteht soziale Innovation als eine Erweiterung des klassischen Innovationsbegriffs. "Es geht um neue Praktiken, die auf Veränderung von Arbeits- und Lebensbedingungen abzielen", sagt Hochgerner. In den rund 100 Jahren, in denen es den Terminus gäbe, sei seine soziale Dimension kaum berücksichtigt worden.

Das Konzept lege den Fokus – analog zum Begriff der technischen Innovation – auf den "Impact", also messbare Wirkung, ergänzt Klaus Schuch, wissenschaftlicher Leiter des ZSI. Dieser Schwerpunkt auf "soziale Mehrwertschaffung" könne Wirkungsorientierung in die Sozialwissenschaften bringen.

"Augustin" als Paradebeispiel

Als Paradebeispiel für eine soziale Innovation, die inzwischen etabliert ist, nennt Schuch die Wiener Straßenzeitung Augustin. "Hier ändern die sozialen Praktiken die Rolle der Akteure: Die Obdachlosen werden zu Verkäufern und Mitherausgebern."

Eine soziale Innovation, an der man aktuell am ZSI arbeite, sei "Cap4access". In dem EU-geförderten Projekt wird eine Crowdsourcingplattform entwickelt, die Barrieren in Städten anzeigt. "Betroffene wie Rollstuhlfahrer oder Kinderwagenschiebende arbeiten am Stadtplan mit", sagt Schuch.

Dies sei eine konkrete Art an einer sozialen Innovation zu arbeiten. Die meisten ZSI-Projekte verschreiben sich einem konzeptuelleren Zugang. Es würden etwa die Möglichkeiten von Crowdfunding oder Social Banking als "politikanleitende Instrumente" untersucht, erklärt Schuch.

Vom Rand zum Mainstream

Das ZSI begann als Verein und mit bescheidenen Mitteln. Kaum jemand konnte mit "sozialer Innovation" etwas anfangen. Das hat sich in den letzten 25 Jahren geändert. Inzwischen ist der Begriff in die Forschungsrahmenprogramme der Europäischen Union eingegangen und wissenschaftlicher Mainstream geworden.

"Das kann man recht genau am Jahr 2009 festmachen", sagt Hochgerner. Der damalige EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso sagte: "Wir brauchen soziale Innovation." Und US-Präsident Barack Obama ließ ein Office of Social Innovation im Weißen Haus einrichten.

Das Konzept habe sich aber nicht vollständig durchgesetzt – zumindest nicht hierzulande: "In der österreichischen Politik gibt es wenige Ansatzpunkte für soziale Innovation. Es ist eine Absurdität, dass das älteste Zentrum, das soziale Innovationsforschung betreibt, seinen Sitz in Österreich hat, das im Vergleich zu anderen Ländern sehr wenig für diesen Bereich tut", kritisiert Schuch. Es gäbe etwa – mit Sparkling Science des Wissenschaftsministeriums – nur ein einziges Programm, das angewandte Sozialwissenschaft fördert. "Wenn wir immer nur soziale Innovationsforschung betrieben hätten, wären wir sehr klein geblieben oder eingegangen", sagt Schuch. Das Zentrum wuchs, weil es von Anfang an ein breites Themenspektrum abdeckte.

Die Interdisziplinarität und Unzuordenbarkeit des Zentrums zeigt die Kooperation mit der Universität für Bodenkultur (Boku), die am Anfang des ZSI stand. Diese "total untypische Zusammenarbeit" mit dem damaligen Rektor Leopold März rettete das ZSI, erzählt Hochgerner, denn es gab ihm den institutionellen Rückhalt, um Projekte bei der EU einzureichen.

Ein weiterer Schritt zur Etablierung folgte 2013: An der Donau-Uni Krems wurde unter der Leitung von Hochgerner der Universitätslehrgang "Master of Arts in Social Innovation" eingerichtet.

Aber hat sich nicht auch der Begriff der Innovation in den letzten 25 Jahren verändert? Schuch, der "berufsbedingt das Wort schon fast nicht mehr hören kann", ist hier durchaus kritisch: "Es ist ein großes Problem, dass Forschung und Entwicklung von der Innovation überfallen wird." Er sieht diese Gefahr etwa in den Förderstrukturen der Europäischen Union.

Besser sollte Forschung "ohne Hintergedanken an ein neues Produkt" gefördert werden. Soziale Innovation sollte also nicht als ein "Hauptsache etwas Neues" verstanden werden. Vielmehr will Schuch das Konzept im Rahmen eines "Bemühens um einen sozialeren Zusammenhalt in der Gesellschaft" eingebettet sehen. (Julia Grillmayr, 18.11.2015)