Der Grüne Peter Pilz droht, mit der bloßen Umdichtung der Kärntner Hymne "ein Exempel" gegen seine Überwachung zu statuieren – doch Werner Amon von der ÖVP verspricht "Nachschärfungen" bei den verfassungsgefährdenden Delikten.

foto: matthias cremer

Der grüne Sicherheitssprecher Pilz zur Regierungsvorlage für das neue Staatsschutzgesetz: "Damit drohen organisierte Fußballfans und Tierschützer, die vielleicht ab und zu eine Sachbeschädigung begehen, mit potenziellen Terroristen gleichgesetzt zu werden."

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Amon, Sicherheitssprecher der ÖVP, wehrt sich gegen Vorwürfe, dass die neuen Überwachungsmethoden in Richtung "Stasi-Methoden" gehen könnten: "Mit der DDR brauchen wir uns in den anstehenden Verhandlungen nicht zu vergleichen – das weise ich gleich aufs Schärfste zurück!"

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"Jihadisten als V-Leute mit Ermittlungen betrauen, das geht nicht", hält Pilz noch einmal ausdrücklich fest. Amon sieht das anders – und hält für beide in diesem Punkt fest: "We agree to disagree."

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Seit den Anschlägen in Paris drängt die ÖVP auf den Beschluss des neuen Staatsschutzgesetzes, doch die anderen Parteien – auch der Koalitionspartner SPÖ – bestehen auf parlamentarische Nachverhandlungen zur umstrittenen Regierungsvorlage. Im STANDARD-Streitgespräch mit dem Grünen Peter Pilz erklärt ÖVP-Sicherheitssprecher Werner Amon, wo seine Partei mit sich reden lässt – und zwar bei der Festlegung "der verfassungsgefährdenden Delikte", die die Staatsschützer künftig mit erweiterten Befugnissen verfolgen sollen. "Da und dort braucht es noch Nachschärfungen", räumt Amon dazu ein, "und dem werden wir uns nicht verschließen". Und er hofft weiterhin: Nach "intensiven Beratungen" mit den Fraktionen bis zum 1. Dezember könnte das Gesetz "mit einem Abänderungsantrag noch heuer" beschlossen werden.

STANDARD: Angesichts der Anschläge in Paris drängt die ÖVP umso mehr auf den Beschluss des neuen Staatsschutzgesetzes. Obwohl die islamistischen Umtriebe einiger Attentäter den französischen Geheimdiensten bekannt waren, haben sie die Gräueltaten nicht verhindern können – warum sollte Ihr Reformwerk präventiv wirken?

Amon: Bei den neuen Befugnissen für die Verfassungsschützer geht es nicht nur darum, wie allfällige Anschläge leichter vereitelt werden können. Im Fall der Fälle sollen sie die Ermittler der Polizei auch ex post besser unterstützen können, wie etwa beim Erstellen von Bewegungsprofilen. Fakt ist, dass leider auch mit dem neuen Staatsschutzgesetz wohl nicht jeder Terrorakt verhindert werden kann – aber das kann nicht rechtfertigen, dass man nun alles beim Alten belässt.

Pilz: Allerdings können wir aus diesen Anschlägen eine Lehre ziehen. Frankreich gehört neben Großbritannien zu den härtesten Überwachungsstaaten. Dort darf auf alles zugegriffen werden: Vorratsdaten, Internetnutzung, sogar direkter Zugang zu den Providern – und das ohne richterlichen Befehl. Paris zeigt jetzt: Weniger Bürgerrechte bringen nicht mehr Sicherheit. Denn die großen Geheimdienste sammeln alles, verstehen aber fast nichts. Deswegen brauchen wir hierzulande schlanke, hocheffiziente Dienste, die aber Unverdächtige in Frieden lassen.

STANDARD: Als besonders umstritten gilt der vorgesehene Einsatz von V-Leuten. Warum sollte man Personen aus diesen gefährlichen Milieus jemals vertrauen – und diese für ihre Informationen auch noch bezahlen?

Amon: Weil das manchmal die einzige Möglichkeit ist, an wichtige Informationen zu gelangen. Vorgesehen ist aber auch, dass ein solches Vorgehen berichtspflichtig ist und dass für die verantwortlichen Personen die Amtshaftung gilt.

Pilz: Das ist eine Bankrotterklärung für jeden Geheimdienst, wenn man bezahlte Spitzel ermitteln lässt. Keine Frage, Informationen aus der Szene soll man verarbeiten. Aber Jihadisten mit Ermittlungen betrauen, das geht nicht. Die arbeiten in der Regel doch gegen und nicht für Polizei und Rechtsstaat. Das Risiko ist hier also weit größer als jede Erfolgsaussicht. Das zeigen auch die negativen Erfahrungen mit V-Leuten aus der rechtsextremen Szene in Deutschland, die nun im NSU-Prozess aufgearbeitet werden müssen.

Amon: Dort gab es bisher aber keine ausreichende Kontrolle, die Haftungsfragen waren nicht klar geregelt. Daher halte ich für uns in diesem Punkt fest: We agree to disagree.

STANDARD: Für den Beschluss braucht es nicht nur Nachverhandlungen mit der SPÖ, sondern auch eine Zweidrittelmehrheit, also die Unterstützung von FPÖ oder Grünen. Sie warnten schon vor "Stasi-Methoden" gegenüber unbescholtenen Bürgern. Wie wollen Sie da jemals zu einer Einigung kommen?

Pilz: Stimmt, angesichts der Regierungsvorlage warne ich davor, in diese Richtung zu gehen. Ich bin aber optimistisch, dass das Parlament, also wir gemeinsam mit SPÖ und ÖVP, noch die notwendigen Abänderungen vornehmen.

Amon: Aber mit der DDR brauchen wir uns in den anstehenden Verhandlungen nicht zu vergleichen – das weise ich gleich aufs Schärfste zurück!

Pilz: Das Hauptproblem ist: Die neuen Überwachungsbefugnisse sollen vor einem "zu erwartenden verfassungsgefährdenden Angriff" schützen – und dazu werden Delikte angeführt wie der Landfriedensbruch oder die Herabwürdigung staatlicher Symbole. Damit drohen organisierte Fußballfans und Tierschützer, die vielleicht ab und zu eine Sachbeschädigung begehen, mit potenziellen Terroristen gleichgesetzt zu werden. Deswegen müssen wir nun diesen Katalog noch einmal miteinander durchforsten. Ich hoffe, wir konzentrieren uns dabei auf die schweren Gefährdungen.

STANDARD: Ein berechtigter Einwand für Sie?

Amon: Da und dort braucht es noch Nachschärfungen – und dem werden wir uns nicht verschließen. Uns geht es darum, mit dem Gesetz alle weltanschaulichen und politischen Radikalismen und den Terrorismus zu bekämpfen. Aber es kann keine Rede davon sein, dass davon Fußballfans oder Tierschützer betroffen sein sollen.

Pilz: Der Paragraf mit den Staatssymbolen darf nicht bleiben, sonst bin ich der Erste, der die unsägliche Kärntner Landeshymne umdichtet, um ein Exempel zu statuieren, was dann passiert.

STANDARD: Trotz anderslautender Zusage von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) sieht ihre Regierungsvorlage vor, dass anstelle von Richtern der Rechtsschutzbeauftragte über die einzelnen Ermittlungsschritte wachen soll – der aber selbst schon Überforderung mit den neuen Aufgaben angemeldet hat. Sind Sie auch da verhandlungsbereit?

Amon: Hier denke ich, dass es sinnvoll ist, beim Rechtsschutzbeauftragten zu bleiben. Allerdings soll er mit der nötigen Infrastruktur ausgestattet und auch entsprechend aufgewertet werden – und dem Parlament möglichst detailliert über seine Vorgangsweise und Entscheidungen berichten. Grundsätzlich bin ich skeptisch, ob Richter derartige Genehmigungen genauer überprüfen.

Pilz: Da haben Sie recht. Derzeit funktioniert deren Kontrolle etwa bei der Telefonüberwachung nicht optimal. Aber das liegt daran, weil das oft ein Nebeng'schäft überlasteter Richter ist. Grundsätzlich geht es hier aber um Unabhängigkeit: Der Rechtsschutzbeauftragte ist eine honorige Person, aber er steht in der Abhängigkeit der Innenministerin. Deswegen brauchen wir als Kontrollorgane Richter, die sich hauptamtlich um Rechtssicherheit und Rechtsschutz bei den Ermittlungen sorgen.

STANDARD: Was ist für die Grünen für eine Zustimmung noch unabdingbar?

Pilz: Dass die Inhalte der neuen Analysedatenbank nicht an die ausländischen Geheimdienste wie NSA und BND einfach weitergereicht werden dürfen. Denn dort sollen nicht nur die sensiblen Daten von Zielpersonen gesammelt und miteinander verknüpft werden, sondern auch die ihrer Kontaktpersonen – und als eine solche zu gelten genügt es schon, wenn man zum Beispiel einmal mit jemanden aus der Islamistenszene telefoniert hat. Dann kann man für Jahre gespeichert werden.

Amon: In der Regel für zwei Jahre.

Pilz: Im Gesetzestext ist aber von einer Verlängerungsmöglichkeit bis zu sechs Jahren zu lesen.

Amon: Nur in extremen Fällen. Außerdem sollen Personen, die unverschuldet in eine Observierung geraten, davon informiert werden – und selbstverständ- lich sind deren Daten zu löschen. Andere Dienste informieren die Leute darüber nicht. Aber ich verstehe diese Sorgen und Bedenken – allerdings bin ich generell dagegen, dass es ver- boten sein soll, Erkenntnisse mit anderen Diensten auszutauschen. Jetzt hat man ja gesehen, dass einer der mutmaßlichen Attentäter im September in Österreich in eine Polizeikontrolle gera- ten ist. Die Beamten haben richtig reagiert – und die Information an die Brüsseler Behörden auf Basis des Schengen-Systems weitergegeben. Das war's aber auch schon. Hier sollten wir die parlamentarische Kontrolle so gestalten, dass wir wissen, welche konkreten Daten weitergeleitet werden.

Pilz: Derzeit bespitzeln sich in Europa die Geheimdienste aber lieber gegenseitig, anstatt gemeinsam zu versuchen, terroristische Bedrohungen möglichst bald zu erkennen. Wir bräuchten hier eine neue nachrichtendienstliche Kultur – das kann aber dauern und bis es so weit ist, muss eine entsprechende Spionageabwehr her, mit der der Verfassungsschutz am besten gar nicht befasst ist.

Amon: Ich denke nicht, dass wir einen vierten Geheimdienst in Österreich brauchen. Die USA haben sechzehn davon – und es ist bekannt, dass Dienste gern ein Eigenleben entwickeln.

STANDARD: Was ist hierzulande zu tun, damit sich die Stimmung nach den Pariser Anschlägen nicht gegen Flüchtlinge richtet?

Amon: Man kann nie ausschließen, dass in einem der Flüchtlingsströme jemand dabei ist, der Kriminelles im Schilde führt. Aber deswegen können wir das Recht auf Asyl nicht aushöhlen.

STANDARD: Laut jüngster Statistik wurden in Deutschland binnen drei Monaten fast 300 Attacken gegen Asylheime registriert. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum es in Österreich bis dato kaum zu Übergriffen gegen Flüchtlingsunterkünfte kam – oder ist auch hier eine steigende Tendenz zu befürchten?

Pilz: Zum Glück gab es heuer erst 16 derartiger Fälle. Speziell Ostdeutschland hat aufgrund der jüngeren Geschichte offensichtlich größere Probleme mit dem Rechtsextremismus als Österreich. Dennoch müssen auch wir hier klarmachen, dass wir nicht nur Terroristen verfolgen, sondern auch jeden, der ein Asylheim angreift.

Amon: Ich sehe die ernste Gefahr, dass wir die Bevölkerung mit den Flüchtlingen bald überfordern könnten, wie die Zuwächse der FPÖ zeigen. Dennoch kann es niemals einen Entschuldigungsgrund für derartige Attacken geben. Daher muss der Verfassungsschutz alle Gruppen im Auge behalten, die zu Extremismus und Gewaltbereitschaft neigen.

Pilz: Mein persönlicher Eindruck ist aber, dass da die Prioritätenliste derzeit so aussieht: Nummer eins sind die Jihadisten. Danach kommen die Tierschützer, die Fußballfans und die Antifa-Demonstranten – und erst dann die rechtsextremen Gewalttäter.

Amon: Ich finde es schade, dass Sie hier polemisch werden. Denn gerade erst sind am slowenischen-steirischen Grenzübergang Spielfeld linke und rechte Demonstranten aneinandergeraten. Da gab es Auseinandersetzungen. Die Linken waren teilweise vermummt und haben große Sachbeschädigungen angerichtet und sind mit Holzlatten auf die Gegendemonstranten losgegangen. Ich appelliere daher an Sie, bei der Einschätzung der Arbeit des Verfassungsschutzes sachlich zu bleiben.

Pilz: Bei Spielfeld sind wir uns einig, natürlich sind derartige Ausschreitungen inakzepta-bel. Aber die beiden Hauptbedrohungen in unserem Land sind und bleiben Rechtsextreme und Jihadisten – und zwar in dieser Reihenfolge.

STANDARD: Bis wann soll eine Einigung stehen, damit das neue Regelwerk Mitte 2016 in Kraft treten kann?

Amon: Bis zur nächsten Sitzung des Innenausschusses am 1. Dezember möchte ich, dass intensive Beratungen zwischen den Fraktionen stattfinden. Dann könnten wir das Gesetz mit einem Abänderungsantrag noch heuer beschließen.

Pilz: Fangen wir endlich mit den Verhandlungen an – fertig sollten wir aber erst sein, wenn wir ein gutes Ergebnis vorweisen können. Unsere Hauptbedingung ist klar: die beste parlamentarische Kontrolle Europas. Dafür brauchen wir Zeit, denn wichtig ist: An unseren Grundrechten darf nicht herumgepfuscht werden. (Nina Weißensteiner, 21.11.2015)