Lisl Steiner sieht sich die Linse von ihrem Kollegen, Fotograf Robert Newald, einmal genauer an. Als Mensch mit einem "fotografischen Gehirn" ist sie in ihren Betrachtungsweisen sehr genau.


Foto: Robert Newald

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Aus Lisl Steiners Fotografie-Vorlass in der Österreichischen National-bibliothek: Schriftsteller Jorge Luis Borges (1983).

Foto: Lisl Steiner / ÖNB-Bildarchiv / picturedesk.com

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Musiker Louis Armstrong (Buenos Aires, 1957).

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Kinder in Salta/Argentinien (1959).

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Weißt du, wofür dieses Band da gut ist!?", wendet sich Lisl Steiner beim Standard-Interview ernst an Fotograf Robert Newald, der die Schlaufe seiner Kamera ausnahmsweise nicht um den Hals gelegt trägt und sich dann bestmöglich rechtfertigt. Unter Kollegen, die die beiden sind, ist in so einem Fall Strenge geboten. Mahnende Worte benützt die Fotojournalistin und -künstlerin aber nur, wenn diese auch gut begründet sind. Konstruktive Kritik ist ihr wichtig. So gibt sie unaufgefordert Stylingtipps oder beklagt schlampige Aussprache.

In einem Brief an Mark Zuckerberg hat sie sich darüber beschwert, dass alle Kinder seinetwegen nur noch in ihre Smartphones starren. Eine Antwort steht noch aus. Umgehend gibt Lisl Steiner aber zu, selbst natürlich auch vom Internet abhängig zu sein. Kürzlich sprach sie mit ihrem Kollegen Erich Lessing darüber, dass sie beide zwar nicht genau wüssten, was "analog" sei, dass sie aber dennoch in der Lage seien, gute Bilder zu machen.

Lisl Steiner fotografiert mittlerweile auch mit dem Mobiltelefon, denn diese Art der Demokratisierung von Fotografie gefällt ihr sehr gut. Die Weltreisende verfügt aber auch über nobleres Gerät. Zu ihren Instrumenten zählte sogar eine Leica von Robert Capa. Die Mutter des berühmten Reportagefotografen, mit dessen Bruder Cornell Lisl Steiner befreundet war, hat sie ihr einst geschenkt.

Lisl Steiner, amtlich Elisabeth, wurde 1927 in Wien geboren und floh mit ihrer Familie – die Mutter war Jüdin – 1938 auf der Oceania von Triest nach Argentinien, wo sie dann aufwuchs. Sie studierte Kunst in Buenos Aires, arbeitete im Dokumentarfilmbereich, bevor sie 1957 mit einem Foto des argentinischen Präsidenten Pedro Eugenio Aramburu den Durchbruch als Fotojournalistin schaffte. Sie traf ihn beim Fischen an einem Fluss an. 1960 übersiedelte Steiner nach New York, wo sie seither lebt, arbeitete freiberuflich für Magazine wie Life, Time oder Newsweek und auch The New York Times und festigte allmählich ihre Position in der Männerdomäne.

In der Männerumkleide

"Ich war immer die einzige Frau", sagt sie, "aber es war nicht schwer für mich. Wenn man etwas wirklich will, dann muss man sich eben bemühen, ein Nein in ein Ja umzuwandeln. Darin war ich immer geschickt." 1976 stand sie als erste Frau in der Kabine der Fußballmannschaft Franz Beckenbauers. "Dort habe ich dann lauter nackte Popos gesehen, na und?"

Lisl Steiner sagt, sie habe sich vor allem für Männer bei der Arbeit interessiert, da sei Spannung drin. Viele Musiker und Politiker zählen zu den von ihr Porträtierten, darunter Miles Davis, Duke Ellington, Herbie Hancock, B. B. King, Nat King Cole, Leonard Bernstein, Friedrich Gulda oder Louis Armstrong. Letzterer unterbreitete ihr in seiner Garderobe gar ein Liebesangebot, welches sie allerdings ausschlug, woraufhin dieser, wie sie erzählt, ein Gesicht machte wie Winston Churchill ohne Zigarre. Zu jeder ihrer Fotografien gibt es eine Geschichte: "Ich bin die Scheherazade der Fotografie!".

Eine Stärke Lisl Steiners ist es, so es denn sein muss, Menschen befehligen zu können. Mit besonderer Freude hat sie Diktatoren herumkommandiert. Salazar, Pinochet, Batista oder Fidel Castro (den sie nicht als Diktator einstuft). "Nach rechts gehen, jetzt nach links, hinsetzen, aufstehen!"

Seit 1959 verfolgt Lisl Steiner das Langzeitprojekt Children of America, eine Bilderchronik von Kindern aus allen Gesellschaftsschichten. Sie reiste mit 900 Rollen Film zunächst durch ganz Südamerika. "Alles war möglich damals, niemand hat mich gefilzt. Ich konnte auch problemlos ins Weiße Haus in Washington."

Um das Children-Projekt zu finanzieren, hat sie als junge Frau nicht gescheut, ein Außenministertreffen in Chile zu durchkreuzen und Unterstützungserklärungen einzuholen. Später konnte sie gar den Zuspruch von Autor Jorge Louis Borges gewinnen, den sie eigentlich nur porträtieren sollte.

Und erst vor wenigen Tagen, Anfang November, war die lebensmutige Fotografin in dieser Sache wieder in Chile unterwegs, wo sie ihre Children of America-Ausstellung bei Staatspräsidentin Michelle Bachelet promotete.

Zu ihrem 88. Geburtstag aber weilt Lisl Steiner, wie sie es sich zur Gewohnheit gemacht hat, in ihrer Geburtsstadt Wien. Einerseits um das Jubiläum zu feiern, aber auch, um auf den Rauchfangkehrerball zu gehen, auf dem sie aufgrund ihrer Serie von Kaminfegerporträts Ehrengast ist. Zwei Buchpräsentationen standen ebenso an wie auch die Verleihung von "irgendetwas zum Anstecken": Am 18. November wurde Lisl Steiner die Goldene Gesellschaftsmedaille der Photographischen Gesellschaft verliehen.

"Ich fotografiere mit meinen Gedärmen", hat Lisl Steiner einmal gesagt, "so wie der Plachutta", der Rindfleischgastronom. Weniger Kopfarbeit sei ihre fotografische Arbeit als eine, die aus dem Bauch komme. Es ist wichtig, den richtigen Moment zu erwischen – und mit jenem Glück zu spielen, das einen zum richtigen Zeitpunkt an den richtigen Ort bringt. (Margarete Affenzeller, 20.11.2015)