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Aus der syrischen Stadt Daraa geflohene Kinder in einer Schule des UNHCR in Syrien.

Foto: AFP

Wien – Jedes Jahr, wenn neue Zahlen darüber vorgelegt werden, wie viel Geld Österreich für Entwicklungshilfe ausgibt, spielt sich dasselbe Schauspiel ab. Regierungspolitiker von ÖVP und SPÖ zeigen sich peinlich berührt und geloben Besserung. NGOs wie Globale Verantwortung und Caritas verschicken Pressemitteilungen mit Titeln wie "Österreichs Beitrag zur Entwicklungshilfe selbst mit Lupe schwer aufspürbar".

Kein Wunder. Österreich zählt zu den reichsten Ländern der Welt. Das Pro-Kopf-Einkommen ist in der EU nur in Luxemburg höher. Dennoch liegen die heimischen Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit (EZA) unter dem Schnitt der übrigen Industriestaaten. So wurde in der EU vereinbart, bis zum Jahr 2015 Beträge in Höhe von 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für EZA auszugeben. Österreich verfehlt diese Quote von jeher deutlich. Im vergangenen Jahr lagen die entsprechenden Ausgaben bei gerade 0,28 Prozent.

Willkommener Anlass

Doch die aktuelle Flüchtlingskrise ist ein willkommener Anlass, um Österreichs Problem bei der Statistik auszubügeln. Wie DER STANDARD erfahren hat, arbeitet man im Finanzministerium bereits daran, die heimischen Kosten für Flüchtlinge als Entwicklungshilfe geltend zu machen. Das allein wäre unproblematisch. Die Industriestaatenorganisation OECD, die Wächterin über die Hilfsstatistik, erlaubt dies grundsätzlich in engem Rahmen.

Doch die Art und Weise, wie man im Haus von Finanzminister Hans Jörg Schelling vorgehen will, sorgt bei Beobachtern und Experten für Kopfschütteln und heftige Kritik. Die OECD erlaubt Staaten, die Kosten der Grundversorgung für Flüchtlinge, also Ausgaben für Verpflegung und Versorgung, in den ersten zwölf Monaten nach ihrer Ankunft einzurechnen. Auch Taschengeld, Kosten für Sprachkurse und für Gesundheitsversorgung dürfen berücksichtigt werden. Alles, was nicht direkt der Grundversorgung dient, ist tabu.

Doch Finanzminister Schelling drängt dem Vernehmen nach darauf, deutlich weiterzugehen: So soll erreicht werden, dass pauschal 25 Prozent aller Ausgaben Österreichs für Flüchtlinge und Asylwerber als Entwicklungshilfe angerechnet werden können. Dabei wären also auch Kosten für Grenzsicherung und Überstunden von Polizei und Militär inkludiert.

"Unredlicher Vorschlag"

Eine solche Berechnung des Finanzministers sei "sehr pauschal und überschlagsmäßig" und "entspreche nicht den geltenden Melderichtlinien der OECD", heißt es dazu aus dem Außenministerium. "Der Vorschlag ist unredlich", sagt ein anderer Involvierter. Der Finanzminister wolle die Zahlungen für Flüchtlinge politisch nutzen, um die EZA-Zahlen zu beschönigen. In Schellings Büro will man die Angelegenheit nicht weiter kommentieren, außer mit dem Hinweis, dass ja eigentlich das Außenministerium zuständig sei. Tatsächlich fällt die Abrechnung der Entwicklungshilfe in Österreich in die Zuständigkeit mehrerer Ministerien. In der Praxis hat das Finanzministerium als die das Budget erstellende Behörde den größten Einfluss, sagen Eingeweihte.

Auf die Pläne des Finanzministeriums angesprochen, kommt auch Kritik von den Grünen. "Da wird versucht, eine nicht nachvollziehbare und nur schwer zu kontrollierende Rechnung anzustellen", sagt deren außenpolitische Sprecherin Tanja Windbüchler.

Dass Ausgaben für Flüchtlinge in Industrieländern Teil der Entwicklungshilfestatistik sind, sorgt seit Jahren für Debatten. Wenn Österreich einen syrischen Flüchtling in Traiskirchen versorgt, sei das keine echte Entwicklungshilfe. Es fließe ja kein Geld in besonders arme Länder, sagen Kritiker.

Die gleichen Debatten gibt es in vielen Facetten. So können Länder auch ihre Kosten für Studierende aus Entwicklungsländern als Hilfe verrechnen. Österreich machte laut STANDARD-Informationen im vergangenen Jahr 82 Millionen Euro an Flüchtlingskosten als Entwicklungshilfe geltend. In den Jahren davor war die Summe kleiner, 2011 etwa halb so hoch.

Vorstoß in Paris

Michael Obrovsky von der Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung sagt, dass die Relationen falsch sind: Wenn ein Land wie Schweden, das viel für Entwicklungshilfe ausgibt, auch großzügig Kosten für Asylwerber als EZA verbucht, sei das in Ordnung. Doch Österreich verrechnet so viel für Flüchtlingshilfe, wie das Land für gestaltbare grenzüberschreitende Hilfe ausgibt. Dies erzeuge eine schiefe Optik.

Obrovsky geht nach einer eigenen Berechnung davon aus, dass sich Österreich 2015 rund 460 Millionen Euro Flüchtlingshilfe bei der OECD anrechnen kann.

Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass Finanzminister Schelling darauf pocht, dass die OECD zusätzliche Leistungen aus Österreich anerkennt. Bereits im Sommer reiste er zur OECD nach Paris und wollte dort erreichen, dass die Summe aller Garantien, die von der Oesterreichischen Entwicklungsbank vergeben werden, als Entwicklungshilfe anerkannt wird. Der Staat haftet für die Bank.

Schelling sprach davon, dass Österreich sich durch diesen Schritt zusätzlich rund 800 Millionen Euro anerkennen lassen könne. Das hätte den heimischen Beitrag für die Armutsbekämpfung fast verdoppelt. Doch die OECD soll mit Verweis auf aktuelle Melderichtlinien abgelehnt haben: Aktuell ist es nicht möglich, pauschal staatliche Garantien als Entwicklungshilfe zu erfassen. (András Szigetvari, 25.11.2015)