Mit bis zu einem halben Kilogramm Gewicht ist der Zwerglori gar nicht so klein. Um den Unbillen der kalten Jahreszeit zu entgehen, legt sich der großäugige Baumbewohner gern längere Zeit aufs Ohr.

Foto: Tilo Nadler

Wien – Man sollte meinen, unter tropischer Sonne wären keine Tiere gezwungen, karge Zeiten schlafend zu überdauern. Umso überraschter waren deutsche Biologen daher, als sie 2004 auf der ostafrikanischen Insel Madagaskar Fettschwanzmakis (Cheirogaleus medius), eine kleine Lemurenart, in tiefstem Winterschlaf antrafen. Es war das erste tropische Tier und zudem die erste Primatenart, von der man weiß, dass sie sich eine echte saisonale Auszeit gönnt. In den folgenden Jahren wurde das Verhalten auf Madagaskar noch bei zwei weiteren Lemurenspezies beobachtet.

Während es in unseren Breiten vor allem die Kälte ist, der die winterschlafenden Säugetiere entkommen wollen, macht auf der Insel die Trockenzeit den Lemuren das Leben schwer. Bis zu sieben Monate verbringen die Fettschwanzmakis schlafend in ihren Baumhöhlen und gleichen ihre Körpertemperatur dabei exakt der Umgebungstemperatur an.

Wissenschafter von der Vet-meduni Vienna haben nun entdeckt, dass sich Winterschlaf in den Tropen nicht allein auf Madagaskar beschränkt. Biologen um Thomas Ruf vom Institut für Wildtierkunde und Ökologie fanden in den Wäldern Südostasiens eine weitere Primatenart, die ebensolche Ruhepausen im Energiesparmodus einlegt: Die Zwergloris (Nycticebus pygmaeus) sind in Vietnam, Kambodscha, Laos und China zu finden und zählen zu den Feuchtnasenaffen. Die nachtaktiven Tiere erreichen eine Länge von 20 Zentimetern und werden bis zu 500 Gramm schwer.

Unter anderem durch die Messung der Körpertemperaturen einiger Exemplare in einem vietnamesischen Reservat erkannten die Forscher, dass beide Geschlechter der Loris zwischen Dezember und Februar zahlreiche Schlafphasen durchlaufen, die jeweils über 60 Stunden dauern können.

Der Grund für den Winterschlaf der pelzigen Baumbewohner sind ähnliche saisonale Klimawechsel wie in Europa: Während der kalten Jahreszeit können die Temperaturen in einigen Regionen, die von Zwergloris bewohnt werden, auf bis zu fünf Grad sinken. In dieser Zeit wird auch die Nahrung der Loris, hauptsächlich Früchte und Insekten, knapp.

Winterschlaf in neuem Licht

Wie die Forscher im Fachjournal "Nature Scientific Reports" berichten, wird der Drang, sich zum Winterschlaf ins Geäst zurückzuziehen, zum einen von der inneren Uhr der Zwergloris ausgelöst. Zum anderen spielt aber auch die Außentemperatur eine Rolle. "Die Tiere erreichten dabei eine Körpertemperatur von nur elf Grad Celsius, also knapp über der Umgebungstemperatur", erklärt Ruf. Normalerweise bewegt sich die Körpertemperatur der Zwergloris zwischen 35 und 36 Grad Celsius.

Für die Forscher hat ihre Entdeckung weitreichende Bedeutung: "Mit dem ersten Fund einer winterschlafenden Primatenart außerhalb von Madagaskar rückt der Winterschlaf evolutionsbiologisch gesehen in ein neues Licht", meint Ruf. Die Biologen halten es sogar für möglich, dass diese Fähigkeit als Strategie zur Überdauerung unfreundlicher, nahrungsarmer Zeiten früher bei Primaten auf allen Kontinenten existierte, dann aber allmählich verlorenging. (Thomas Bergmayr, 4.12.2015)