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Das Belcea Quartet als "schöne Parallelwelt" und "utopische Realität": Cellist Antoine Lederlin, Geigerin Corina Belcea, Geiger Axel Schacher und Bratschist Krzysztof Chorzelski (v.li.).

Foto: Ronald Knapp

STANDARD: Was macht für Sie das Einzigartige des Quartett-Spiels im Vergleich mit anderen Formen des Musizierens aus?

Corina Belcea (1. Violine): Für mich stellen Kammermusik im Allgemeinen und das Streichquartett im Besonderen genau jene Anforderungen, die mir am meisten am Herzen liegen. Wenn man das Glück hat, dass seine Partner großartige Musiker und wunderbare Menschen sind, fühlt sich die Arbeit an wie ein tägliches Gespräch mit Freunden. Es gibt auch auf der Bühne das Gefühl größter Intimität, wenn man nach den harten Proben im Zusammenspiel mit den anderen ganz spontan sein kann, weil man weiß, dass sie darauf reagieren werden, was im Augenblick geschieht.

Axel Schacher (2. Violine): Es gibt beim Quartett-Spiel eine einzigartige Verbindung mit den Kollegen. Man lernt zu fühlen, wie sie reagieren und wie sie funktionieren – und weiß irgendwann sogar, was sie heute zu Abend essen werden. Man fühlt sich nie allein. Das alles macht es zu einem Privileg, Mitglied in einem Streichquartett zu sein.

Krzysztof Chorzelski (Viola): Es ist, wie in einer Parallelwelt zu leben, in einer fast utopischen Realität – zumindest musikalisch. Ein Streichquartett kann meiner Meinung nach ein fast vollkommenes Modell der Demokratie sein – wenn es die Musik selbst ist, die das Ergebnis bestimmt, und nicht die einzelnen Musiker. Wenn wir diesen Zustand erreichen, was mitunter geschieht, entsteht das Gefühl, dass es nicht wir sind, die diese Musik spielen, sondern umgekehrt: Die Musik spielt uns, und wir lassen uns von ihr tragen – das ist ein tiefes Glücksgefühl.

Antoine Lederlin (Violoncello): Unsere Arbeit wird von großer Freiheit getragen: Man kann sich fast ohne Beschränkungen um Details kümmern und auf die größte Perfektion abzielen, auch wenn diese natürlich Illusion bleiben muss. Und das Quartett-Spiel ist ein unglaubliches menschliches Abenteuer, bei dem das Beste oder das Schlimmste herauskommen kann – bei uns bisher jedoch das Beste.

STANDARD: Welche Eigenheiten machen das Belcea Quartet aus?

Schacher: Ich denke, etwas, das das Belcea Quartet einmalig macht, ist seine Jugendlichkeit. Ich erlebe meine Kollegen als gegenüber der Musik so brennend und voller Hingabe, wie sie wohl auch vor zwanzig Jahren waren. Es gibt nie Anzeichen dafür, dass man sich auf ausgefahrenen Gleisen bewegt oder bloß seinen "Job" macht.

Lederlin: Musikalisch: Es gibt keine Regeln und nicht zu viel Theorie. Wir versuchen jeden Vorschlag umzusetzen und scheuen nicht davor zurück, die Dinge immer wieder zu ändern, was manchmal sehr aufregend, manchmal auch mühsam sein kann. Menschlich verbindet uns eine echte Freundschaft mit viel Respekt für die Bedürfnisse der anderen – und große Unterschiede der Herkunft und beim Spielen.

Chorzelski: Eine Besonderheit ist die kulturelle Vielfalt der Mitglieder. Seit der Gründung des Quartetts haben sich die Kulturen und Mentalitäten gegenseitig bereichert. Corina und ich kommen aus dem Osten Europas, wo der Fokus der Ausbildung auf technischer Perfektion lag. Als ich nach London kam, war ich von der geistigen Freiheit überwältigt. Außerdem kommen zwei französische Kollegen dazu, die viel Wert auf die Qualität des Klangs legen, wovon so heißblütige und temperamentvolle Leute wie Corina und ich profitieren. Es sind gerade die Unterschiede zwischen uns, die unsere größte Stärke bilden.

Belcea: Ein lieber Freund von uns, selbst ein wunderbarer Geiger und Primarius eines Streichquartetts, sagte kürzlich, wir hätten eine gute Mischung erreicht: dass wir zugleich unsere individuellen Persönlichkeiten durchkommen ließen, aber auch einen einheitlichen Klang und ein deutliches Konzept bewahrten – so als ob die Stücke von einer einzigen Person gespielt würden.

STANDARD: Wie würden Sie Ihre jeweilige Rolle innerhalb des Quartetts beschreiben?

Belcea: Mich freut etwas, das ich von meinen Kollegen immer wieder höre: Der Gedanke des "Führens" im negativen Sinn – dass man also einseitig vorschreibt, wie gespielt werden soll, wie das in manchen Ensembles vorkommt – scheint mir vollkommen fremd zu sein. Es gibt nie einen Monolog oder ein Monopol der ersten Violine. Dass sich alle vier gleichberechtigt einbringen können, hat unsere Arbeit, glaube ich, immer bereichert.

Lederlin: Es ist wie eine Gesellschaft im Kleinen. Wir alle haben Rollen, die sich gegenseitig ergänzen. Es ist hochinteressant, wie jedes neue Zusammentreffen unsere Rollen innerhalb des Quartetts ein bisschen verändert. Musikalisch sind wir sehr demokratisch, wobei ich eher der langweilige Pragmatiker bin (lacht).

Schacher: Ich denke, ich bin der Gemäßigte in der Gruppe. Wenn es Meinungsverschiedenheiten gibt, versuche ich mich nicht zu sehr zu beteiligen, sondern eher Kompromisse zu finden, wie es die zweite Geige meiner Meinung nach tun sollte. Wenn ich mich weise gebe, stelle ich mir vor, mein Ziel wäre es, unsichtbar, aber unersetzlich zu sein.

Chorzelski: Die Bratsche ist selten die Diva oder der Frauenschwarm in einem Quartett. "Romeo" und "Julia" sind normalerweise das Cello und die erste Geige. Die Bratschenstimme ist normalerweise weniger offensichtlich. Sie bildet eine Brücke zwischen den beiden Geigen und dem Cello, manchmal ganz einsam, öfter aber zusammen mit der zweiten Geige – zwischen diesen beiden Stimmen gibt es daher eine besondere Freundschaft.

STANDARD: Was an Ihrem Zugang ändert sich bei einem "Zeitgenossen" wie Thomas Larcher im Vergleich zu einem "Klassiker" wie Beethoven?

Lederlin: Da gibt es keinen großen Unterschied. Das Ziel ist immer, ein überzeugendes Ergebnis zu bekommen; und dafür müssen wir es wagen, in der Klangfarbe und anderen Charakteristika recht weit zu gehen.

Schacher: Es ist wichtig, sich selbst als Musiker nicht zu verleugnen. Natürlich versuchen wir eine bestimmte Klangwelt für bestimmte Komponisten zu erzielen, aber wir spielen auch dann noch so, wie wir wollen, und nicht so, wie wir denken, dass man es von uns erwartet. Beim Musizieren muss man immer seinen eigenen Vorstellungen folgen.

Belcea: Der große Vorteil ist, dass man zeitgenössische Komponisten anrufen kann. Das spart viel Zeit und Rätselraten – und bisher hatten wir das Glück, dass Komponisten, die für uns geschrieben haben, immer sehr flexibel waren, wenn wir Vorschläge hatten, was sich beim Spielen natürlicher anfühlt. Auch Neue Musik kann auf verschiedene Arten interpretiert werden. Wenn sichergestellt ist, dass die Vorstellungen des Komponisten erfüllt werden, kommt es auf die Interpreten an, die Noten so aufrichtig wie möglich zum Leben zu erwecken.

Chorzelski: Wenn zeitgenössische Komponisten eine eigene Sprache entwickeln, müssen wir erst lernen, sie zu verstehen und zu sprechen. Wir wissen nicht genau, wie das Stück am Ende klingen wird. Oft ist das Ergebnis überraschend. Wenn wir aber so weit sind, dass wir es aufführen können, gibt es keinen Unterschied zu Beethoven. Wir geben alles, was wir haben, um es gegenüber dem Publikum zu kommunizieren. (Daniel Ender, 3.12.2015)