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Die neue Zentrale der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt. EZB-Chef Mario Draghi hat das Anleihenkaufprogramm der Notenbank erst vergangene Woche verlängert.

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Wien – Ihr großes Ziel, die Inflation im Euroraum zu beleben, hat die Europäische Zentralbank (EZB) bisher nicht erreicht. Doch die Interventionen der Zentralbank in Frankfurt hinterlassen am Finanzmarkt immer deutlichere Spuren. Das geht aus einem am Sonntag vorgestellten Quartalsbericht der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) hervor.

Die BIZ mit Sitz in Basel gilt als eine Art Zentralbank der Zentralbanken, die regelmäßig mit Spannung erwartete Berichte über den Zustand des Weltfinanzsystems vorlegt. In seiner aktuellen Analyse macht die BIZ auf einen besonderen Umstand aufmerksam: Demnach wird die Kreditaufnahme im Euroraum für die einzelnen Länder nicht nur zunehmend günstig. Viele Staaten verdienen inzwischen sogar Geld damit, wenn sie sich verschulden. Klingt komisch, ist aber so.

Staatsanleihen mit negativen Renditen

Bis Ende November ist der Bestand an Staatsanleihen des Euroraums mit negativen Renditen laut BIZ auf mehr als 1,9 Billionen Euro angewachsen. Ein Rekordwert, der ungefähr einem Drittel des Gesamtmarktes entspricht. Das heißt, über die Laufzeit betrachtet bekommen Kreditgeber von vielen Euroländern weniger Geld zurück, als sie hergeborgt haben. Dass Staatsanleihen mit kurzer Laufzeit eine negative Rendite abwerfen, ist in Europa seit längerer Zeit zu beobachten. Das Phänomen tritt inzwischen aber auch bei mehrjährigen Krediten auf, die in der Regel höher verzinst sind, weil die Geldüberlassung für längere Zeit erfolgt und die damit verbundenen Risiken höher sind.

Im März hat etwa die Republik Österreich erstmals eine über fünf Jahre laufende Bundesanleihe mit einer negativen Gesamtrendite vergeben. Auch in Finnland, Deutschland, den Niederlanden, aber selbst in Spanien sowie Italien sind Negativrenditen inzwischen nichts Besonderes mehr.

Aber warum sind Investoren dazu bereit, Regierungen Geld zu schenken? Die Suche nach Antworten führt zur EZB nach Frankfurt. Die Europäische Zentralbank hat im März ein gigantisches Programm zur Belebung der Konjunktur und der Inflation gestartet. Im Rahmen dieses sogenannten Quantitative Easing erwirbt die EZB pro Monat Staatsanleihen im Wert von 60 Milliarden Euro. Durch die Nachfrage der Notenbanker steigen die Anleihenkurse an, was dazu führt, dass die Anleihenrendite automatisch sinkt. Die EZB will Investoren, etwa Banken, dazu bewegen, ihr Geld vermehrt in andere Vermögenswerte zu stecken. Anstatt in Staatsanleihen soll in Unternehmen oder in Aktienmärkte investiert werden.

Keine Teuerung im Euroraum

Viele Investoren schrecken die negativen Renditen im Euroraum nicht ab, sie suchen nur einen sicheren Hafen für ihr Geld, selbst wenn sie keine Erträge dabei kassieren können.

Skeptiker des QE-Programms werden sich angesichts der Zahlen aus Basel bestätigt sehen: Ein Vorwurf an EZB-Chef Mario Draghi, der von deutschen Ökonomen erhoben wurde, ist, dass sein Anleihenkaufprogramm Länder dazu verleitet, zu hohe Schulden zu machen. Die niedrigen Zinsen werden als Einladung dazu verstanden, so der Vorwurf. Bisher ist davon nichts zu merken, die staatliche Schuldenlast in der Eurozone soll 2015 leicht sinken.

Die BIZ bezeichnet die Situation an den Finanzmärkten als "trügerische Ruhe": Alle warteten darauf, dass die US-Notenbank Fed mit der Zinsanhebung beginnt. Zudem stellen sich Anleger generell auf eine Phase zunehmend divergierender Geldpolitik ein, so die BIZ, in der die Zinsen in den USA wieder steigen, während in Europa die Notenbank weiter expansiv Geld druckt. Eine Folge davon ist, dass der Euro schwächer wird und unter Verkaufsdruck gerät, während der Dollar stärker nachgefragt wird. Die Zahl der Netto-Short-Positionen – darunter werden Investoren verstanden, die darauf spekulieren, dass der Euro weiter an Wert gegenüber dem Dollar verliert – nimmt seit Oktober wieder deutlich zu, so die BIZ. Aus Sicht der Europäischen Zentralbank ist das eine gute Nachricht: Quantitative Easing dient auch dazu, den Euro zu schwächen, um Exporteuren in Europa zu helfen. (András Szigetvari, 7.12.2015)